Freier Eintritt für die Museen der Stadt Aschaffenburg; – mündl. Antrag der Fraktion die GRÜNEN


Daten angezeigt aus Sitzung:  2. Sitzung des Kultur- und Schulsenates, 06.07.2016

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Kultur- und Schulsenat 2. Sitzung des Kultur- und Schulsenates 06.07.2016 ö Beschließend 7kss/2/7/16

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Grundlagen:

I. Erlöse durch Eintrittskarten in den Museen der Stadt Aschaffenburg 2015


Eintrittspreis €
Erlöse € 2015

Naturwissenschaftliches Museum
reg. 1,50 / erm. 0,50
* 809,50
Stiftsmuseum
reg. 2,50 / erm. 1,50
** 5.464,50
Kunsthalle Jesuitenkirche
reg. 4,00 / erm. 3,50
40.639,50
Gentil-Haus
reg. 1,50
201,00
Schlossmuseum
Reg. 5.50 / erm. 4,50
[derzeit 3,50 / erm. 2,50]
-

(€ 267.584,00)

(Einnahmen der Bay. Schlösserverwaltung)
Museum jüdischer Geschichte und Kultur
Frei
-
KunstLANDing
Frei
-






* Bei durchschnittlich 4.500 bis 5.000 Besuchern pro Jahr
** Bei durchschnittlich 5.000 bis 7.000 Besuchern pro Jahr


II. Regelung ‚Freier Eintritt und Ermäßigungen‘:

Schulklassen sowie Kinder unter 10 Jahren frei.

Gruppen ab 10 Personen erhalten ermäßigten Eintritt ebenso
Jugendliche und Studenten, Kulturpass-Inhaber, Menschen mit Handicap, Senioren, Familienkarte, Familienpass, Ehrenamtskarte, Jahreskarte, DB-Regio

III. Gesamteinnahmen ‚Eintritte‘ Museen Aschaffenburg 2015:

exkl. Schlossmuseum

Einnahmen Schlossmuseum durch Schlösserverwaltung


Anteil am Gesamtbudget in Prozent
€ 42.119,00


ca. 2 %
€ 267.584,00




Zum Vergleich:
„Staatsgalerie Stuttgart“, 160 000 Besucher (2015): 2,2 Prozent (Quelle: Art, 19.03.2008).
„Sprengel Museum“, Hannover, 170.000 Besucher (2015): „ca. 5-10“ Prozent (Quelle: NDR.de, 18.04.2016) – Zu beachten: Eröffnung Neubau.

IV. Einnahmen / Ausgaben im Ausstellungsbetrieb Kunsthalle Jesuitenkirche, Beispiele:

IV.1. Ausstellung „Werner Tübke / Michael Triegel. Zwei Meister aus Leipzig", v. 24.1. - 19.4.2015

5.653 Besucher

Eintritte
€ 21.236,50


Sonst. Einnahmen
€ 19.359,79

Ausgaben

€ 51.161,48
Spenden

€ 5.000,00

ABGLEICH


- 5565,19
                       

IV.2 Ausstellung „Die Malweiber von Paris. Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch“ v. 20.2. - 29.5.2016

11.220 Besucher

Eintritte
€ 36.058,50


Sonst. Einnahmen
€ 29.035,81

Ausgaben

€ 97.082,08
Spenden

€ 15.000,00

ABGLEICH


- 16.987,77


V. Verhältnis bezahlende Besucher zu freie Eintritte am Beispiel „Malweiber von Paris“:

„Vollzahler“
4.395

„Ermäßigte“

5.106
„Freie“

1.719



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VI. Begründung

Die Diskussion „Eintritt im Museum gegen Entgelt – pro / contra“ wird in Deutschland seit Jahrzehnten immer wieder neu ausgefochten. Die oft ins Feld geführten Beispiele englischer oder US-amerikanischer Vorbilder sind aufgrund von deren grundsätzlich zu unterscheidenden Betriebsstruktur (hohe Zuschüsse durch private Förderer; „Trustees“?? Unentgeltlich tätige Treuhänder mit wesentlichem Einfluss in Politik und Wirtschaft (gesetzl. Grundlage in GB „Charities Act, 2006). als Strategiegremium; hohe Refinanzierung durch Shops; etc.; Leihgebühren; usw.) nicht auf die öffentlich-rechtliche Betriebsbasis deutscher, meist kommunaler Museen übertragbar.
Aktuelles, oft zitiertes Beispiel: das „Museum Folkwang“ in Essen (Neubau auf internationalem Niveau 2010; Weltklassesammlung u. a. zur Klassischen Moderne) bietet seit Juni 2015 freien Eintritt. Die Krupp-Stiftung subventioniert den Einnahme-Ausfall allerdings mit € 5 Mio. auf fünf Jahre. Die Folge: Kurzfristig Verdreifachung der Besucherzahlen. – Sonderausstellungen kosten nach wie vor € 12 / erm. 7,50.

Fragen:
-        Was geschieht nach der erfolgreichen Anlaufphase?
-        Was geschieht nach dem Auslaufen der Subvention?


Eintritte „ja“ / „nein“ ist bisher vornehmlich eine Diskussion großer, internationaler Häuser, Beispiele:

-        Die Berliner Museen decken rund 40 Prozent der Sachmittel durch Eintrittsgelder (Prognose Einnahmen 2016: € 22 Mio.) und stehen der Idee zurückhaltend gegenüber.

-        Die Staatsgalerie Stuttgart gewährte freien Eintritt für ein halbes Jahr – finanziert durch private Sponsoren. Kurzfristiges Plus von 250% bei den Besucherzahlen.

-        Auf lange Sicht: Freien Eintritt gewähren die größten staatlichen Museen in Großbritannien seit 2001 sowie einige Privatmuseen: Die Subvention durch private Sponsoren muss dauerhaft gesichert werden. Die Steigerung der Besucherzahlen beträgt langfristig durchschnittlich rund 20 % (Quelle: SZ, 21.03.2016).

-        In Frankreich gilt freier Eintritt für Jugendliche unter 26 und Lehrer bei staatlichen Museen und Gedenkstätten seit 2009. Die Besucherzahlen haben durchschnittlich um 15 % zugenommen. Die finanziellen Ausfälle werden durch das Kulturministerium zu 100% ausgeglichen (Quelle: Website der Franz. Botschaft, Berlin).

-        In Schweden war der Eintritt in staatliche Museen in den Jahren 2005 und 2006 kostenlos, seit dem Regierungswechsel im Jahr 2007 muss wieder bezahlt werden. Die Folge: Allein die Stockholmer Museen zählten seitdem 1,5 Millionen Besucher weniger (Quelle: Art, 19.03.2008).

-        Bei rund 40 Prozent der Museen in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein ist der Eintritt immer schon umsonst. In Mecklenburg-Vorpommern sind es 25 Prozent. Die meisten Häuser sind kleine (meist ehrenamtlich geführte) Museen mit deutlich weniger als 10.000 Besuchern im Jahr (Quelle: NDR.de, 18.04.2016).



Die Situation in Aschaffenburg:

-        Die Einnahmen der Kunsthalle Jesuitenkirche decken bei erfolgreichen Ausstel-lungen zu einem großen Anteil die Ausgaben. Ausstellungskosten nehmen generell seit Jahren kontinuierlich zu. Die Haushaltsmittel für die eigentliche Umsetzung von Ausstellungen sind de facto dagegen rückläufig. Fazit: Einnahmen sind notwendig. Sie ermöglichen (noch) ein attraktives Angebot.

-        Die Einnahmen im Stiftsmuseum von ca. € 5.000 bis 6.000 entsprechen rund 50% der jährlichen Mittel zur Pflege der Sammlungen und für museumspädagogische Projekte. Ein Budget für Sonderausstellungen existiert nicht. Fazit: Eintrittsgelder sind dringend erforderlich, um das Museum wenigstens auf niedrigem Niveau zu modernisieren.

-        Das Naturwissenschaftliche Museum (NM) stagniert in der Qualität seiner Ausstattung auf dem Niveau der 1970er Jahre. Seit 2006 wurden erhebliche Mittel in die wiss. Erfassung der Bestände, der Bereinigung gravierender Mängel und in die optische Pflege des Museums investiert. Freier Eintritt ist bei der Besucherstruktur des NM (Familien, Schulklassen) faktisch ohnehin schon in den meisten Fällen gegeben. Fazit: Bei einem Museum im Hintertreffen wird das Signal „freier Eintritt“ auch als Zeichen gewertet, dass der Träger das Thema endgültig aufgegeben hat. „Was nichts wert ist, darf auch nichts kosten“.

-        Das Gentil-Haus ist aufgrund konservatorischer Bedingungen kaum als klassisches Museum zu betreiben. Dies setzte enorme Investitionen und eine deutliche Reduzierung der Bestände vor Ort voraus, was den Charakter des Hauses (Denkmal) zerstören würde. Es ist nach Voranmeldung nur mit Führung zu besichtigen. Die Personalkosten (Führungen) müssen von der VHS getragen werden. Fazit: ‚Freier Eintritt‘ würde an diesem Haus die Situation nicht verändern. Personalkosten müssten weiterhin subventioniert werden.

-        Museum jüdischer Geschichte und Kultur: Die Führungen (VHS) und der kostenlose Eintritt werden schon heute mit € 5.000 bis 6.000 pro Jahr zu Lasten des Haushalts der Museen subventioniert. Der Haushaltsansatz wurde dafür nicht erhöht.



Weitere Aspekte:

-        Warum sollten private Sponsoren die öffentlichen Museen bei Projekten unterstützen, wenn diese auf Einnahmen verzichten?
-        Welches Argument sollte in Haushaltsverhandlungen eingebracht werden als Ersatz für das Argument einer möglichen Refinanzierungsquote?
-        Steuergelder: Die Mehrheit der „Nicht-Museumsgänger“ finanziert bei freiem Eintritt die Minderheit der Museumsgänger noch deutlicher (vgl. Diskussion „freier Eintritt für Flüchtlinge“ im Museum „Hessenpark“, http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/wegen-freiem-eintritt-fuer-fluechtlinge-shitstorm).
-        Das Schlossmuseum als staatl. Einrichtung bliebe weiterhin nur mit Eintritt zugänglich, was ein Gefälle in der Akzeptanz der Häuser innerhalb der Stadt nach sich zöge; vgl. die aktuelle Diskussion in Berlin: http://www.morgenpost.de/kultur/article207256717/Freier-Eintritt-ins-Humboldt-Forum-Museen-zieren-sich.html).
-        Im Kulturbetrieb als „freiwilliger Leistung“ wird angesichts der absehbaren Maßnahmen in der Folge der „Schuldenbremse“ (GG Art. 109, Abs. 3) ab 2020 auch bei Kommunen wie auf Länderebene Verwerfungen zu begegnen sein. Den Museen sollten die im geringen Umfang vorhandenen Instrumente zu ihrer Refinanzierung nicht bereits im Vorfeld genommen werden.
-        Einnahmen schaffen grundsätzlich den Anreiz zur Verbesserung der Angebote.



Abschließendes FAZIT:
Die Diskussion „Eintrittsgeld ja / nein“ kann sinnvoll nur an großen Häusern mit Sammlungen von weit überregionaler Bedeutung, hoher Attraktivität und generell großem Einzugsgebiet geführt werden. Nur dann sind die exorbitanten Steigerungen der Besucherzahlen kurzeitig möglich (s. o.). Voraussetzungen sind eine solide Finanzierungsbasis (Private) und vor allem die entsprechende langfristige Absicherung der Finanzierungrisiken durch den Träger (Staat, Länder, Kommunen). Freier Eintritt: ‚Wer einsteigt, kann nicht einfach wieder aussteigen‘.

Museumsleiter



Zitate zum Thema:

"Die Berliner Museen sind für Kinder, Jugendliche und sozial Benachteiligte bereits meist kostenlos. Gänzlich auf Einnahmen zu verzichten, so wie es in England der Fall ist, halte ich für gefährlich, man macht sich dann von Sponsoren abhängig"

Kulturstaatssekretär des Landes Berlin, Tim Renner, Morgenpost Berlin, 22.3.2016.


„Ein großer Teil unserer Kultureinrichtungen ist kommunal getragen. Da sehe ich keine großen Chancen, weil Städte finanziell immer in der Klemme stecken und es ab 2020 auch das Verbot gibt, neue Schulden aufzunehmen. Da ist einfach der Spardruck wahnsinnig hoch.“

Prof. Dr. Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, SZ, 21.03.2016.


"Ein generell freier Eintritt scheint mir nach dem Prinzip, ,Was nichts kostet, ist nichts wert' wenig zielführend."

Dr Ludwig Spaenle, Bay. Staatsminister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, SZ online, 20.03.2016


"Wenn man generell einen freien Eintritt gewähren würde, hieße das doch nur, die Besserverdienenden zu subventionieren. (…) Eine Institution muss glaubwürdig sein."

Matthias Mühling, Direktor Lenbachhaus, München, SZ online, 20.03.2016


„Das ist nicht allein eine Frage des Preises (…). Dazu braucht es attraktive Angebote im Bereich der kulturellen Bildung, zum Beispiel durch Kooperationen der Museen mit Schulen.“

Benjamin-Immanuel Hoff, Kulturminister Thüringen, Focus, 15.05.2015


"Aber wir leben ohnehin in einer Zeit, wo der wirtschaftliche Druck sehr hoch ist. Das heißt dann, wenn wir gar keine Eintrittsgelder generieren und immer mehr Leute kommen, haben wir einen immer höheren Aufwand für Reinigung, Aufsichten und Ähnliches. Für uns ist das dann eigentlich nur eine Belastung, weil wir gar nicht davon profitieren."

Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel Museums Hannover, NDR.de, 18.04.2016


"Wenn Sie alle Museen vom Eintritt freistellen, werden Sie nicht ein neues Publikum gewinnen. Und darum geht es uns. Wir möchten, dass Menschen in Theater, in Museen gehen, die das im Moment noch nicht tun, die das einfach nicht in ihrem klassischen Freizeitverhalten drin haben. Und egal, ob es ein Museum ist oder ein Theater: Die Erfahrung lehrt, so etwas funktioniert nur darüber, dass Sie andere Angebote machen."

Gabriele Heinen-Kljajiæ, Kulturministerin des Landes Niedersachsen, NDR.de, 18.04.2016

.Beschluss:

1. Es wird zur Kenntnis genommen, dass Herr Stadtrat Johannes Büttner seinen Antrag vom 22.06.2016 (Anlage 6) zurückgenommen hat.

2. Es wird zur Kenntnis genommen, dass die Mitglieder der GRÜNEN-Stadtratsfraktion ihren Antrag auf „Gewährung eines generellen freien Eintritts in die Museen der Stadt Aschaffenburg“ zurück genommen haben.

3. Herr Oberbürgermeister Klaus Herzog teilt mit, dass im Herbst 2016 ein Arbeitskreis „Museen“ eingerichtet wird.

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 0, Dagegen: 0

Datenstand vom 02.02.2017 16:44 Uhr