Mit Antrag vom 23.01.2019 hat Stadtrat Herr Dr. phil. Lothar Blatt (UBV) beantragt, der Stadtrat möge folgenden Grundsatzbeschluss fassen:
„Beim Geschosswohnungsbau auf ehemals städtischen Grundstücken müssen auch mindestens zwei behindertengerechte Wohnungen errichtet werden“.
Begründet wird der Antrag wie folgt:
„Beim Kauf zweier nebeneinanderliegender (kleiner) Grundstücke der Stadt Aschaffenburg durch Beschluss des Haupt- und Finanzsenats vom 07.12.2015 musste sich ein Investor hierzu verpflichten. Aus Gleichbehandlungsgründen müssen diese Kriterien somit ebenso für alle anderen nachfolgenden Erwerber diesbezüglicher städtischer Bauplätze gelten“.
2. Stellungnahme
Der Antrag betrifft im Wesentlichen zwei Fallkonstellationen:
• den Verkauf selbständig für Geschosswohnungsbau nutzbarer Grundstücke
• den Verkauf von Grundstücken oder Grundstücksteilen, die nur zusammen mit Grundstücken oder Grundstücksteile dritter für Geschosswohnungsbau nutzbar sind
a) selbständig für Geschosswohnungsbau nutzbare Grundstücke
Mit Beschlüssen des Planungs- und Verkehrssenats vom 11.10.2016 und des Plenums vom 24.10.2016 hat der Stadtrat das Städtische Wohnraumförderprogramm beschlossen. Hierin sind die Vergabekriterien beim Verkauf städtischer Baugrundstücke geregelt. Für die Vergabe von Baugrundstücken für
- Bestandshalter von Mietwohnungsraum und
- Bauträger von zukünftigem Eigenwohnraum
(sinngemäß: Geschosswohnungsbau) gelten die Regularien des Programm 1 des städtischen Wohnraumförderprogrammes.
Im Kriterienkatalog für die Vergabe der Grundstücke ist unter anderem aufgeführt, dass eine Barrierefreiheit (nach Richtlinien der Wohnungsbauförderung) gegeben sein muss (Pflichtkriterium).
aa) Begriff der Barrierefreiheit
Der Begriff „Barrierefreiheit“ wurde gewählt, da in den einschlägigen Gesetzen und Regelwerken nicht von „behindertengerecht“ (ugs.) sondern von „barrierefrei“ gesprochen wird. So wird in § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes die Anforderungen an technische Anlagen (wie z.B. Wohnungen) wie folgt definiert:
„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, […], wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“
Als Planungsgrundlage für barrierefreies Bauen dient die technische Regel DIN 18040 Barrierefreies Bauen (für Wohnungen DIN 18040-2). Darin wird dargestellt, unter welchen technischen Voraussetzungen bauliche Anlagen barrierefrei sind.
In den städtischen Wohnraumförderbestimmungen zur Vergabe von städtischen Grundstücken für Mehrfamilienhäuser mit sozialgerechten Wohnungen ist als Vergabekriterium (Pflichtkriterium) festgelegt, dass die Wohnungen gemäß der DIN 18040-2 barrierefrei gestaltet sein müssen. Mit diesen Ausstattungskriterien für preiswerten, sozialgerechten Wohnraum (sozialer Wohnungsbau und Wohnungen für Schwellenhaushalte) orientiert sich die Stadt an den Richtlinien zur sozialen Wohnraumförderung des Freistaats Bayern, in welchen gleiches gefordert wird.
Innerhalb von Wohnungen unterscheidet die DIN 18040-2 zwei Standards:
- Barrierefrei nutzbar
- Barrierefrei und uneingeschränkt mit Rollstuhl nutzbar
Schon der Standard „Barrierefrei nutzbar“ ermöglicht mit Mindestabmessungen für Türdurchgänge und ausreichend groß dimensionierte Bewegungsflächen die Nutzung der Wohnung mit Gehhilfen wie Rollatoren und eingeschränkt auch mit dem Rollstuhl.
Der Begriff „barrierefrei“ umfasst damit einen weitaus größeren Personenkreis mit unterschiedlichen Einschränkungen, wie z.B. auch groß-/kleinwüchsige Personen, Personen mit kognitiven Einschränkungen, Kinder, ältere Menschen u. ä., als der umgangssprachliche Begriff „behindertengerecht“.
„Barrierefrei nutzbar“ ist somit auch in Anbetracht des demografischen Wandels eine wichtige technische Ausstattung von Wohnungen, die bei städtischen Grundstücken zurecht eingefordert wird. (Diese Wohnungen sind zudem auch von uneingeschränkten Personen gut nutzbar). Dieser Standard wird sowohl beim staatlich geförderten Wohnungsbau als auch von der Stadt gefordert.
Alle Wohnungen uneingeschränkt mit Rollstuhl nutzbar zu gestalten oder eine feste Quote bei allen Bauvorhaben für uneingeschränkt rollstuhltaugliche Wohnungen einzuführen, wird nicht als zielführend und notwendig gesehen.
Uneingeschränkt rollstuhltaugliche Wohnungen erfordern größere Rangier- und Bewegungsflächen, bestimmte Nutzbarkeit von Bedienelementen und zusätzliche Anforderungen an die Ausstattung von Sanitärräumen. In Wohnungen mit diesen Ausstattungsmerkmalen als „Nicht-Rollstuhlnutzer“ zu wohnen ist häufig ungewohnt und unpraktisch. Zum Beispiel geht hier Stellfläche für Möbel verloren oder längere Wege müssen in der Wohnung zurückgelegt werden, was vor allem für ältere Menschen problematisch ist. Schließlich schlägt sich eine größere Wohnfläche letztendlich auch auf den Mietpreis nieder, was dem preiswerten Wohnraum entgegensteht. Somit sind diese rollstuhlgeeigneten Wohnungen insbesondere für Rollstuhlnutzer durchaus sinnvoll, schließen aber eine weitaus größere Personengruppe aus, denen die Ausstattung „barrierefrei nutzbar“ vollumfänglich genügt.
ab) Umsetzung im städtischen Wohnraumförderprogramm
Soweit der Antragsteller „behindertengerecht“ im Sinne seines Antrages als „barrierefrei“ versteht, ist dem im geltenden Wohnraumförderprogramm der Stadt bereits Rechnung getragen.
Sollte der Antragsteller „behindertengerecht“ im Sinne seines Antrages als „barrierefrei und uneingeschränkt mit Rollstuhl nutzbar“ verstehen, so kann ein entsprechendes Angebot an Wohnungen über die Wertungsfaktoren der sozialen Kriterien unter den Gesichtspunkten „Bewohnerkonzept“ und „Nutzungskonzept“ mit einfließen. Eine noch stärkere Bindung der Grundstücksinteressenten sollte man nicht anstreben, um die vorrangig verfolgte Zielsetzung des bezahlbaren Wohnraums nicht zu beeinträchtigen.
b) Nicht selbständig für Geschosswohnungsbau nutzbare Grundstücke
In dem, im Antrag vom 23.01.2019, benannten Fall lag kein Verkauf eines städtischen Baugrundstückes vor, sondern für sich nicht sinnvoll bebaubare Flächen, die durch den Erwerb in ein vorhandenes Baugrundstück integriert wurden.
Im genannten Fall hielt ein Investor ein, bereits bebautes, Grundstück mit einer Größe von 681 m² im Eigentum. Im Zuge der Sanierung des Bestandsgebäudes wurden zur besseren Ausnutzung (aber auch zur städtebaulichen Abrundung), die angrenzenden Grundstücke von der Stadt Aschaffenburg erworben. Die beiden städtischen Grundstücke haben die Größe von 150 m² bzw. 106 m², zusammen 256 m². Im Verhältnis zur Gesamtfläche (937 m²) bilden die städtischen Flächen somit einen Anteil von 27 %.
Beispielhaft wird auf einen aktuellen Verkaufsfall Bezug genommen. Hier hält der Investor ein Grundstück mit einer Größe von 678 m² im Eigentum. Um eine bessere bauliche Ausnutzung des Grundstückes zu erzielen, hat der Investor eine Fläche aus städtischem Eigentum im Umfang von ca. 61 m² erworben. Im Verhältnis zur Gesamtfläche (739 m²) bildet die städtische Fläche einen Anteil von 8 %.
In beiden Fällen waren die städtischen Grundstücke nicht selbständig wohnbaulich nutzbar. Eine Nutzbarkeit war erst im Zusammenhang mit den benachbarten Grundstücken möglich. Dadurch konnte dringend benötigter zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden. Eine strikte Vorgabe von Restriktionen beim Erwerb der städtischen Grundstücke führt dazu, dass ggf. Wohnbauprojekte nicht oder nicht in größerem Umfang geschaffen werden; ein Investor ggf. auf den Zuerwerb von der Stadt Aschaffenburg verzichtet. Die Verwaltung hält daher die Vorgabe gemäß Antrag in diesem Bereich nicht für sinnvoll.