Im Juli 2019 haben sich das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau und die Jugendämter der Stadt Aschaffenburg und der Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg zu einer Kinderschutzgruppe zusammengeschlossen, mit dem Ziel, eine Verbesserung des Schutzes von Kindern bei Kindeswohlgefährdungen durch schnelles und abgestimmtes Handeln, fachübergreifende professionelle Diagnostik und Behandlung sowie eine gemeinsam festgelegte Weiterbetreuung zu erreichen. Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sowie deren Familien.
Grundlage der Kooperation bildet die in der Anlage beigefügte Kooperationsvereinbarung zwischen den Beteiligten.
Konzept:
Polizei und Justiz gehen im Bereich der Gewalt gegenüber Kindern in Form von Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch nach wie vor von einer hohen Dunkelziffer aus. Kindesmisshandlung wird jedoch selten diagnostiziert, weil Sensibilisierung und standardisierte Verfahrenswege im medizinischen bzw. klinischen Bereich häufig noch fehlen.
Mit Kinderschutzambulanzen bzw. Kinderschutzgruppen soll diesen Kindern gezielt und strukturiert geholfen werden.
Grundsätze und Zielsetzung:
Zum Schutz von Kindern vor Misshandlung, sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung soll es als fachlichen Standard an Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin ein den lokalen Gegebenheiten angepasstes Vorgehen in Verdachtsfällen geben. Dieses dient dem Erkennen von Gewalt, der Behandlung aber auch der Prävention.
Die Kooperationsvereinbarung strukturiert konkret und verbindlich nachvollziehbare und verifizierbare Abläufe interdisziplinärer Kooperation. Dazu gehören Diagnostik und Dokumentation, interdisziplinäre Fallkonferenzen von Ärzten, Sozialen Diensten, Therapeuten, u.U. Polizei und Justiz oder anderen Fachstellen. Sie sind für die weitere Hilfeplanung mit den Eltern oder auch für notwendige Interventionen der Jugendämter und der Gerichte zum Schutz des Kindes äußerst hilfreich. Diese interne Leitlinie hat auch zum Ziel, in Drucksituationen überstürztes Handeln zu vermeiden, fachliche Unsicherheit abzubauen und den professionellen Umgang mit hochemotionalen Inhalten qualitativ zu sichern.
Fachliche Zusammensetzung:
Beteiligte Fachbereiche sind in der Regel:
- Kinderklinik und Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ)
- Rechtsmedizin
- Gynäkologie für Kinder
- Radiologie
- Chirurgie und Neurochirurgie
- Notfallambulanz und Unfallchirurgie
- Ärzte und Psychologen der Kinder- und Jugendpsychiatrie
- Soziale Dienste Jugendämter und Klinik
- Koordinierende Kinderschutzstellen (KoKi)
- Pflegedienst
- u.U. Polizei und Justiz
- u.a. Fachstellen im Einzelfall
Prozedere:
Bei einem erheblichen Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung in Form von Misshandlung oder Missbrauch gibt der Klinikpfad folgenden standardisierten Ablauf vor:
- Anamnese und ärztliche Untersuchungen – Diagnostik – Dokumentation Fallbesprechungen im Ärzteteam, in der Regel stationäre Aufnahme des Kindes
- Fallbesprechung zum weiteren Vorgehen unter Einbeziehung des Jugendamtes
- Gespräche mit den Eltern über Vorfall – Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion – Dokumentation
- Entscheidung über Einschaltung der Polizei, z.B. zur Verhinderung weiterer Gewalt gegenüber anderen Kindern
- Einschätzung elterlicher Kooperation. Gegebenenfalls Abstimmung mit dem Jugendamt über Inobhutnahme des Kindes, wenn Eltern ärztlicher Untersuchung nicht zustimmen
- Fallbesprechung über vorliegende Befunde
- Fallbesprechung: Aufklärungsgespräch mit den Eltern, Konfrontation mit Befunden und Diagnose
- Fallbesprechung: Konferenz zur interdisziplinären Hilfeplanung für Kind und Familie mit beteiligten Fachstellen (Soziale Dienste des Jugendamtes, externe Kinderärzte, Kindertherapeuten und Kinderpsychiater, im Einzelfall notwendige Beratungsstellen etc.)
- Gespräch mit den Eltern über das geplante Hilfekonzept. Evaluation der elterlichen Kooperationsbereitschaft.
- Lehnen Eltern Hilfen ab bzw. sind nicht in der Lage dazu (Sucht, psychische Erkrankung), droht weiterhin Gefährdung für das Kind, muss unter Einbeziehung des Familiengerichts über die elterliche Sorge und eine Fremdunterbringung des Kindes entschieden werden.
Entsprechend der zwischen den Beteiligten geschlossenen Kooperationsvereinbarung wurde am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau zum 01.12.20219 eine Koordinierungsstelle, die anteilig durch die beteiligten Gebietskörperschaften finanziert wird, als zentrale Informations- und Anlaufstelle geschaffen.
Die Koordinatorin der Kinderschutzgruppe wird dem Jugendhilfeausschuss über die Tätigkeit der Kinderschutzgruppe in der Sitzung am 17.02.2022 berichten.