Kostenloser ÖPNV an Samstagen
Zum 01.12.2018 wurde an Samstagen die kostenlose Nutzung des ÖPNV innerhalb der Stadtgrenzen Aschaffenburgs eingeführt. Diese Regelung beinhaltet in den Tarifzonen 9111-9116 die Nutzung aller Verkehrsangebote der Verkehrsgemeinschaft am Bayerischen Untermain (VAB GmbH) und somit den Stadt- und Regionalbusverkehr sowie den Schienenverkehr auf der Relation Aschaffenburg/Hauptbahnhof – Obernau.
Der Einnahmeausfall der Verkehrsunternehmen der VAB aus den Tarifzonen 9111-9116 (Stadt/Stadtteile Aschaffenburg) wird über den städtischen Haushalt ausgeglichen. Das Angebot des kostenlosen ÖPNV wurde als Pilot für die Zeitdauer von 2 Jahren befristet. Für den Beginn des Jahres 2020 war eine Evaluierung der Maßnahme vorgesehen. Diese Evaluierung wurde aufgrund von Corona ausgesetzt und auf 2022 verschoben. Der Testzeitraum wurde deshalb bis zum 31.12.2022 verlängert.
Der kostenlose ÖPNV an Samstagen ist einer von fünf Prüfaufträgen für die innenstadtverträgliche ÖPNV Mobilität. Die Prüfaufträge verfolgen das verkehrspolitische Ziel, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, um damit zu einer Verbesserung der Luftqualität und zu mehr Lärm- und Klimaschutz beizutragen. Weniger Kfz-Verkehr in der Innenstadt erhöht die Lebensqualität und den Einkaufs- und Erlebniswert.
Ziel des kostenlosen ÖPNV an Samstagen ist es, möglichst viele Personen zum Stadtbesuch ohne die Nutzung des eigenen Kfz zu animieren. Der an Samstagen schwächer ausgelastete ÖPNV verfügt über ausreichende Kapazitätsreserven, die bislang ungenutzt sind. Neben den umweltpolitischen Wirkungen kann dieses neue Angebot auch zu einer deutlichen Attraktivitätssteigerung der Innenstadt führen. Es profitieren insbesondere der Einzelhandel, die Gastronomie und die Kultur.
Das kostenlose ÖPNV-Angebot führt im Stadtbereich zu einem Einnahmeausfall aller Verkehrsunternehmen der VAB. Die Tarifsubvention zu dem von der Regierung von Unterfranken genehmigten Tarif wird durch die Stadt Aschaffenburg als Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs über den städtischen Haushalt bestritten. Ausgeglichen werden die tatsächlichen Einnahmeverluste, die durch die Einführung eines vergünstigten Tickets entstanden sind zuzüglich eventueller Kannibalisierungseffekte und nicht die Kosten der Erbringung der Verkehrsleistung. Es wurde mit einem jährlichen, von der Stadt Aschaffenburg zu tragenden Ausgleichsbetrag in der Höhe von ca. 285.000 € kalkuliert.
Zunächst haben die Stadtwerke an alle Fahrgäste im Stadtgebiet Fahrscheine mit Aufdruck 0,00 € ausgegeben. Auf die Ausgabe wurde seit August 2019 verzichtet, um den Betriebsablauf zu vereinfachen. Von Dezember 2018 bis einschließlich Juli 2019 wurden pro Samstag in den Bussen der Stadtwerke durchschnittlich ca. 4.000 Tickets ausgegeben. Die Anzahl der ausgegebenen Fahrscheine dient als Vergleich zu den bisher in diesem Segment ausgegeben Fahrscheinen. Ein direkter Rückschluss auf die tatsächlichen Fahrgastzahlen kann allerdings nicht erfolgen, da eine Mehrfachnutzung gegeben ist.
Um die Zahlen zu plausibilisieren und weitere Erkenntnisse über die Nutzung des Nulleurotickets zu gewinnen, wurde eine Verkehrserhebung an Samstagen in Auftrag gegeben. Diese Erhebung führte das Planungsbüro PB Consult aus Nürnberg durch. Erhoben bzw. befragt wurden alle Fahrgäste an Samstagen, die in den Bussen angetroffen wurden. Die Erhebung fand im Zeitraum vom 12.10.2019 bis 28.12.2019 statt.
Für einen Samstag wurden 16.443 Fahrgäste gezählt. Ermittelt wurde eine Anzahl von 4553 Nulleurotickets (= 4553 Inhaber von Nulleurotickets) für einen Samstag. Die Anzahl der Nulleurotickets darf nicht mit der Anzahl der Fahrgäste gleichgesetzt werden. Ein Nulleuroticket-Inhaber kann mehrfach zusteigen und wird jedes Mal als Fahrgast gezählt. Nutzer des Nulleurotickets wurden in der Statistik allerdings nur erfasst, wenn diese am selben Tag noch nicht befragt wurden.
Die Summe der Nulleurotickets unterscheidet sich auf den einzelnen Linien. Die meisten Nulleurotickets wurden in der Linie 3 gezählt, gefolgt von den Linien 4, 1 und 6. In den Linien 7, 9, 12, 14 wurden nur wenige Nulleurotickets erfasst.
Den Nutzern des Nulleurotickets wurden mehrere Fragen zu ihrem Verkehrsverhalten gestellt. Dabei wurden nur die Nutzer des Nulleurotickets berücksichtigt, die übrigen Fahrgäste mit anderen Fahrscheinen (z.B. Zeitkarten) wurden nicht weitergehend befragt. Die Erhebung kam zu folgenden Ergebnissen:
- 67% der Nulleuroticketnutzer nutzen den Bus nur, weil die Beförderung kostenlos ist.
- 41% der Nulleuroticketnutzer haben vorher den MIV/Pkw genutzt. 41% sind bereits vorher mit dem ÖPNV gefahren. Die Mehrheit der Nutzer (59%) hat vorher schon Verkehrsmittel des Umweltverbundes (Fuß+Rad+ÖPNV) genutzt.
- 89% der bisherigen ÖPNV-Nutzer hat bisher Tageskarten oder Einfahrscheine genutzt (Gelegenheitsnutzer).
- 84% der bisherigen Pkw-Nutzer fahren mit dem ÖPNV nur wegen des Nulleurotickets. Bei den bisherigen Fußgängern und Radfahrern sind es 72 bzw. 73%.
- Die durchschnittliche Nutzungshäufigkeit beträgt 2,24 Fahrten (Charakter einer Tageskarte).
- 82,5% der Nulleuroticketnutzer würde für die einzelne Busfahrt mindestens einen Euro bezahlen. Pkw-Fahrer haben eine höhere Zahlungsbereitschaft als Fußgänger und Radfahrer.
Das Angebot des kostenlosen ÖPNV an Samstagen wird von der Bevölkerung angenommen. Das belegen die Anzahl der Nulleuroticketnutzer und die Fahrgastzahlen. Mit dem automatischen Fahrgastzählsystem (AFZS) wurden an einem durchschnittlichen Samstag im Jahr 2018 ca. 9.300 Fahrgäste in den Stadtbussen erfasst. Gemäß der Erhebung liegt die Zahl für 2019 bei 16.443 Fahrgästen pro Samstag. Dies entspricht einer Steigerung von 77% und übersteigt somit die anfänglichen Erwartungen von 20% deutlich. Das bestätigt auch den subjektiven Eindruck gut besetzter Busse. Zudem stehen den bisherigen Verkäufen von 1.100 Tickets in der Preisstufe 11 an einem Durchschnittssamstag 4.553 Nulleurotickets gegenüber.
Bedingt durch Corona gab es ab 2020 einen deutlichen Einbruch der Fahrgastzahlen. Im Vergleich zu 2019 wurden 2021 je Samstag etwa halb so viele Fahrgäste befördert. Auf einen Vergleich mit 2020 wird an dieser Stelle wegen der mangelnden Aussagekraft verzichtet. Die Fahrgastzahlen in 2022 steigen wieder an und haben bereits das Niveau von 2018 (vor Einführung Nulleuroticket) erreicht. Von den Spitzenwerten 2019 sind diese jedoch noch deutlich entfernt (vgl. Abbildung 1). Tragfähige Aussagen sind wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen im Betrachtungszeitraum (insbesondere Corona-Situation) nicht möglich.
Abbildung 1
Die linienreine Betrachtung zeichnet ein ähnliches Bild. Auch hier wird das Jahr 2020 nicht betrachtet. Die Fahrgastzahlen von 2019 erreicht in 2022 keine Linie. Auf den meisten Linien ist die Nachfrage in 2022 allerdings höher als in 2018 (vgl. Abbildung 2). Die Linie 7 wird nicht betrachtet (mangelnde Vergleichbarkeit aufgrund von Linienwegsänderung in 2019).
Abbildung 2
Bei den VAB-Partnerunternehmen KVG und VU hat das Samstagsticket nur eine geringe Bedeutung. Die KVG hat im Jahr 2019 pro Samstag durchschnittlich 25 Tickets ausgegeben, die VU 150.
Der Ausgleichsbetrag der Stadt Aschaffenburg an die Verkehrsunternehmen berechnet sich aus dem Einnahmerisiko, welches sich durch die Einführung eines vergünstigten Tarifes ergibt sowie durch Kannibalisierungseffekte. Ausgeglichen werden daher die bisherigen, festgestellten Fahrgeldeinnahmen sowie Abwanderung aus anderen Tarifprodukten. Für das Jahr 2019 beträgt der Ausgleichsbetrag der Stadt Aschaffenburg an die Verkehrsunternehmen 257.342,50 €.
Zusammenfassung
Die Daten aus der Erhebung und die Beobachtungen zeigen aber auch, dass die gesetzten verkehrspolitischen und ökologischen Ziele der Maßnahme nur unzureichend erfüllt werden. Es entstehen unerwünschte Verlagerungseffekte, die hauptsächlich im kostenlosen Fahrpreis begründet sind. 72% der Fußgänger und 73% der Radfahrer geben an, den ÖPNV nur wegen der kostenlosen Beförderung zu nutzen. Radfahrer und Fußgänger haben außerdem die geringste Zahlungsbereitschaft unter allen Nutzern. Eine Substitution von Rad- und Fußwegen (zusammen 18% der Nulleuroticketnutzer) durch ÖPNV-Wege ist ökologisch nicht unumstritten. Auch beim ÖPNV liegt ein gewisser Umwelt- und Ressourcenverbrauch vor (Kraftstoff, Verschleiß, Emissionen). Gerade bei Wegen, die zuvor zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden, ist davon auszugehen, dass der ÖPNV hier auch für Kurzstreckenfahrten genutzt wird. Diese Nutzer nehmen Kapazitäten in Anspruch, die nicht mehr für andere Fahrgäste (insbesondere Umsteiger vom MIV) zur Verfügung stehen. Dies kann zu weiteren Folgekosten führen (Einsatz größerer bzw. auch zusätzlicher Fahrzeuge, mit entsprechendem zusätzlichem Fahrpersonal).
1-Euro-Ticket an Sonn- und Feiertagen
Das 1-Euro-Ticket an Sonn- und Feiertagen wurde zum 01.01.2021 eingeführt. Bei dem 1-Euro-Ticket handelt es sich um eine Tageskarte in der Preisstufe 11 (Stadt Aschaffenburg, Tarifzonen 9111-9116) zum Preis von einem Euro. Es werden für Erwachsene und Kinder getrennte Tickets ausgegeben.
Die Einführung wurde zunächst auf ein Jahr befristet und sollte in diesem Zeitraum bewertet werden. Aufgrund der unklaren Datenlage wegen der Corona-Situation wurde der Testzeitraum bis 31.12.2022 verlängert und die Evaluierung auf 2022 verschoben. Ein Vergleich mit den Daten aus 2020 ist nicht zielführend. Für den Vergleich vor der Einführung des 1-Euro-Tickets werden daher die Vertriebs- und Fahrgastzahlen aus 2019 herangezogen.
Im Jahr 2019 wurden an Sonn- und Feiertagen in der Preisstufe 11 (Stadt Aschaffenburg) etwas mehr als 25.000 Fahrscheine (ohne Zeitkarten) verkauft. In 2021 wurden etwa 15.000 1-Euro-Tickets (Erwachsene und Kinder) ausgegeben (vgl. Abbildung 3). Das entspricht etwa 60% des Vergleichszeitraums. Die gesunkene Nachfrage lässt sich primär auf zwei Faktoren zurückführen: Corona und Änderungen im Tarifsortiment (Sondertarife wie 12-Euro-Schülerticket, Auf-Achse-Ticket).
Abbildung 3
Stellt man die Verkaufszahlen für die Erwachsenen- und Kinderfahrscheine gegenüber, so stellt man fest, dass die Ticketverkäufe im Kindertarif stärker gesunken sind als die im Erwachsenentarif. Die Verkäufe 2021 im Erwachsenentarif betragen ca. 61% der Werte aus 2019. Im Kindertarif sind es lediglich ca. 38% (vgl. Abbildung 4). Möglicherweise hat das 12-Euro-Schülerticket hier einen Einfluss auf die Verkaufszahlen. Ebenso kann eine tarifliche Unschärfe zu den Abweichungen führen. Bedingt durch den identischen Fahrpreis von einem Euro für Kinder und Erwachsene werden eventuell fälschlicherweise Erwachsenenfahrscheine für Kinder ausgegeben.
Abbildung 4
In den Fahrgastzahlen von 2021 und 2022 ist keine Nachfragesteigerung durch das Ein-Euro-Ticket erkennbar. Die Fahrgastzahlen liegen unter dem Niveau von 2019. Offenbar spielen die Einflüsse durch die Corona-Situation eine Rolle. Es ist jedoch ein Trend nach oben erkennbar, die Werte von 2019 sind aber noch nicht erreicht (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5
Zum 01.02.2022 ging der On-Demand-Verkehr an Sonn- und Feiertagen in Betrieb. Noch ist unklar, inwieweit dieser die Nachfrage in den Bussen beeinflusst. Der On-Demand-Verkehr wird zu einem späteren Zeitpunkt separat ausgewertet. Aktuell liegen hierfür zu wenige Daten vor. Ebenso sind die Effekte des 9-Euro-Tickets in den Monaten Juni, Juli und August 2022 noch nicht voraussehbar. Es ist von einer gesteigerten Nachfrage auszugehen, die aber nicht auf das 1-Euro-Ticket zurückzuführen ist.
Empfehlung
Der Erfolg des Nulltarifs an Samstagen oder des Ein-Euro-Tickets an Sonn- und Feiertagen lässt sich mit den aktuell zur Verfügung stehenden Daten nicht aussagekräftig bewerten. Die geringere Fahrgastzahl im Vergleich zu 2018/2019 ist nicht auf das Tarifangebot, sondern auf die Corona-Situation zurückzuführen. Es zeichnet sich ein Trend ab, dass die Nachfrage wieder ansteigt. Die Stadtwerke würden daher anregen, den Probebetrieb bis zum 31.12.2023 zu verlängern. Mitte oder Ende 2023 sollten verlässliche Zahlen vorliegen, in denen auch Sondereffekte wie das 9-Euro-Ticket eingeordnet werden können.