1. leo. – Level-One Studie
Das Forschungsprojekt „leo. – Level-One Studie“ (auch leo.-Studie), online verfügbar unter http://blogs.epb.uni-hamburg.de/leo/, fand mit dem Ende der Projektförderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Ende April 2013 seinen formalen Schlusspunkt, seine Ergebnisse werden aber auch weiterhin in der (Fach-)Öffentlichkeit diskutiert.
Ergebnis der Studie war, dass in der Bundesrepublik Deutschland ca. 7,5 Millionen Deutsch sprechende Erwachsene nur so eingeschränkt lesen und schreiben können, dass sie von voller selbstständiger gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind, bzw. häufig auf Unterstützung angewiesen sind.
Für Aschaffenburg ergäben sich rein numerisch ca. 6.500 funktionale Analphabeten. Von funktionalem Analphabetismus spricht man (Alphabund), „wenn die schriftsprachlichen Kompetenzen von Erwachsenen niedriger sind als diejenigen, die minimal erforderlich sind und als selbstverständlich vorausgesetzt werden, um den jeweiligen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden.“ Das bedeutet, dass „eine Person nicht in der Lage ist, aus einem einfachen Text eine oder mehrere direkt enthaltene Informationen sinnerfassend zu lesen und/oder sich beim Schreiben auf einem vergleichbaren Kompetenzniveau befindet. Die UNESCO spricht von Funktionalem Analphabetismus bei Unterschreiten der vollen Teilhabe im Lesen, Schreiben und Rechnen (…). Die Definition des Alphabunds verlangt eine Präzisierung auf einen Mindestrahmen. Leo. Differenziert daher nach Alpha-Level 1-6 aus und rechnet das Unterschreiten der Textebene (Alpha-Level 4) dem Funktionalen Analphabetismus zu.“
In Deutschland befanden sich 2013 ca. 30.000 Teilnehmer/innen in entsprechenden Kursen. Im numerischen Vergleich dazu liegt Aschaffenburg also etwa im bundesweiten Durchschnitt.
Diese statistischen Zahlen sind mit Vorsicht zu betrachten, da sie nicht pauschal auf jede Stadt oder Region in Deutschland übertragbar ist, sondern in dem jeweiligen spezifischen Kontext der Regionen betrachtet werden müssen.
Funktionale Analphabeten haben sich bisher in ihrem Lebensumfeld durchaus auch zurechtgefunden und besitzen nicht immer ein Bedürfnis, an ihrer Situation grundlegend etwas zu verändern. Dies hängt jeweils von der individuellen und beruflichen Lebenssituation ab. Funktionale Analphabeten können auch nicht wie Migranten mit Alphabetisierungsbedarf zu entsprechenden Kursen herangezogen werden, etwa durch die Jobcenter oder eine Behörde.
Daher stellt sich das zentrale Problem, wie diese Zielgruppe erreicht, angesprochen und motiviert werden kann. In Großstädten wie München können offene Lernwerkstätten praktikable Angebote und Anlaufstätten sein, weil dort die Anonymität gewahrt bleiben kann, während dies in kleineren Städten nicht umsetzbar ist. Es genügt jedenfalls nicht, lediglich einzelne Angebote für die Zielgruppe auszuschreiben, die dann aufgrund mangelnder Nachfrage nicht realisiert werden können. Insofern kommt der Öffentlichkeitsarbeit eine große Bedeutung zu.
2. Strategie in Bund und Freistaat
Das Lernportal des dvv "www.ich-will-lernen.de" bietet für Alphabetisierung, Schulabschlüsse und ökonomische Grundkompetenz auf einem stetig aktualisierten Stand der medialen und pädagogischen Entwicklungen hervorragende Lernarrangements.
Der Bayerische Volkshochschulverband führt das BMBF-Projekt "Alpha Regional" durch, um tragfähige Bildungszugänge zu schaffen, die Bürgerinnen und Bürger mit Alphabetisierungs- und Grundbildungsbedarf tatsächlich zu erreichen und passgenaue Lern- und Beratungsangebote vor Ort in den Kommunen Bayerns einzurichten.
3. Angebote der vhs Aschaffenburg
Im Programmbereich Deutsch („Deutsch für Deutsche“) fanden bisher pro Semester zwei Kurse statt, einer für Teilnehmer mit Handicap und einer für Deutschsprachige, die das Lesen und Schreiben lernen wollten/sollten. Es gibt kaum Rückmeldungen, da Teilnehmer nicht gerne über ihre Teilnahme in einem solchen Kurs sprechen und auch Angebote von Zeitungen, Radio usw. abgelehnt haben, über ihre Erfahrungen zu berichten. Viele Teilnehmer sind über Jahre im Kurs. Pro Kurs gibt es ca. 4-8 Teilnehmer/innen (TN) durchschnittlich.
Seit 2014 stehen diese Kurse unter dem neuen Programmbereich „Grundbildung“. Es gibt nun zwei Kurse für Deutschsprachige (Grundkurs, Aufbaukurs). Für den Grundkurs gibt es so gut wie keine Resonanz, den Aufbaukurs haben mehr oder weniger dieselben Teilnehmer wie in den Jahren zuvor besucht. Den Kurs für TN mit Handicap leitet seit Jahren eine erfahrene Volks- und Realschullehrerin. Die Kurse für Deutschsprachige leiteten Integrationskursleiter mit Zusatzqualifikation, ab jetzt eine erfahrene neue Kraft, die sich auch in das Projekt „Alpha-Regional“ einarbeiten wird.
Die vhs Aschaffenburg arbeitet im Bayerischen Landesverband der Volkshochschulen mit in der Arbeitsgruppe Alpha Regional. Außerdem ist die vhs Aschaffenburg vernetzt mit anderen Akteuren innerhalb des Bereichs Alphabetisierung. 2014 fanden mehrere Tagungen zu diesem Thema statt, auf denen die Problematik und die Möglichkeiten diskutiert wurden, die sich bei diesem europaweiten Phänomen ergeben. Dabei gibt es unterschiedliche Wege der einzelnen Länder. So wird in Skandinavien getestet, ob das Internet eine Möglichkeit darstellt, das Problem der Anonymität zu wahren und durch Online-Angebote Hemmschwellen abzubauen. Auch werden gezielt Tablets mit entsprechenden Alpha-Apps an die Zielgruppe verteilt.
Die vhs Aschaffenburg sieht in der Schulung von Mitwissern bzw. Multiplikatoren einen sinnvollen Anfang, das komplexe Problem in der Region von Aschaffenburg anzugehen. Weitere Schritte müssten, analog zu erfolgreichen Projekten in Deutschland, im Verbund und Konsens unterschiedlicher Akteure realisiert werden.
Bisher wurde ein Trainer für Multiplikatoren-Schulung ausgebildet, der allerdings nicht mehr zur Verfügung steht, da er in eine Vollbeschäftigung innerhalb der Stadt gewechselt ist. Eine weitere Trainerin konnte bisher nicht ausgebildet werden, weil die vorgesehene Schulung vom Bayerischen Landesverband abgesagt wurde. Die nächste Schulung soll nun im Herbst erfolgen.
Die vhs Aschaffenburg ist bei der Umsetzung von konkreten Angeboten im Bereich Grundbildung und Alphabetisierung auf einen gesellschaftspolitischen Konsens angewiesen, der alle lokalen Akteure und gesellschaftlichen Gruppen (Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Verbände, Zivilgesellschaft, Arge und Jobcenter) einbezieht. Die Sensibilisierung von „Mitwissern“ und die Ent-Tabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit sind Voraussetzungen für den Erfolg in diesem hoch sensiblen Bereich. Die vhs Aschaffenburg und das Bildungsbüro planen dieses Thema mit den Mitgliedern des Bildungsbeirats bei dessen nächster Sitzung zu beraten.
Leider gibt es für den Bereich Grundbildung und Alphabetisierung bisher noch wenige Möglichkeiten, Kurse und Veranstaltungen kostendeckend durch TN-Gebühren oder Drittmittel zu finanzieren.