Erschließung des Baugebietes „Rotäcker“, Artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung und weiteres zeitliches Vorgehen


Daten angezeigt aus Sitzung:  4. Sitzung des Planungs- und Verkehrssenates, 19.05.2020

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Planungs- und Verkehrssenat 4. Sitzung des Planungs- und Verkehrssenates 19.05.2020 ö Beschließend 7PVS/4/7/20

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Bisherige Verfahren zum Baugebiet Rotäcker
Das ca. 10 ha große Baugebiet „Rotäcker“ am südwestlichen Ortsrand von Schweinheim bietet knapp 100 Bauplätze und ist nach dem fertig gestellten Baugebiet „Am Gäßpfad“ ein weiteres wichtiges Siedlungsbauvorhaben im Stadtteil.
Nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens mit Rechtskraft des Bebauungsplans im Jahr 2004 und der Baulandumlegung im Jahr 2016 erfolgte in den Jahren 2018 und 2019 die Erschließungsplanung durch eine Ingenieurgemeinschaft der Büros „Häfner-Öfner Ing.-GmbH“ und „Die Landschaftsarchitekten Ing.-GbR“ mit der Zielsetzung der Realisierung der Erschließung im Zeitraum 2019 bis 2022.

Änderung des Bundnaturschutzgesetzes -  Nachholen der speziellen artenschutz-rechtlichen Prüfung
Im Zuge des Bebauungsplanverfahrens für das Baugebiet „Rotäcker“ waren seinerzeit die Belange von Natur und Landschaft nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung abzuarbeiten. Dabei wurden alle damals erforderlichen Fachgutachten erstellt.
Durch die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes 2010 wurde das deutsche Artenschutzrecht an die europäischen Vorgaben angepasst. Seitdem ist es erforderlich, für alle Verfahren, so auch für Bebauungspläne, spezielle artenschutzrechtliche Prüfungen durchzuführen und entsprechende Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen zu erarbeiten, die über die naturschutzrechtlichen Maßnahmen hinausgehen. Bereits rechtkräftige Planungen hatten diese Aufgabenstellung vor der Realisierung der Baumaßnahmen nachzuholen. Dieser Fall trifft auf das Baugebiet Rotäcker zu.


Zeitlicher Ablauf der speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung (saP)
Im Zuge der Erschließungsplanung und vor dem eigentlichen Beginn der Tiefbauarbeiten stand damit fest, dass die nach dem Naturschutzrecht notwendigen artenschutzrechtlichen Maßnahmen durchgeführt werden müssen. In der Zeitplanung waren diese Schritte frühzeitig eingeplant.
Um diese geschützten Pflanzen und Tieren zu kartieren wurde mit Biologen des beauftragten Fachbüro Fabion artenspezifische Untersuchungskonzepte und ein Untersuchungszeitplan entwickelt, der den Bauzeitenplan für die Erschließung berücksichtigt:
Untersuchungszeitplan:
Kartierung der Vogelarten
März bis April 2019
Kartierung der Zauneidechsen
April bis Mai 2019
Kartierung von Haselmaus, Heuschrecken
Mai bis Juni 2019
Kartierung des Großen Wiesenknopfes / Bläulinge
Juli 2019
Einfangen und Umsiedlung der Zauneidechsen
August bis Ende September 2019
Umsetzen der Mulm – und Habitatbäume
ab Oktober 2019
Umsetzen des Großen Wiesenknopfes
Juli 2020
Vorlage der speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung
September 2019
Antragstellung artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 45 BNatSchG
Juni 2019
Ende der artenschutzrechtlichen Vorbereitung
Oktober 2019

Die Untersuchungen und Kartierungen wurden zeitgerecht ausgeführt. Es wurde eine Teilpopulation von Zauneidechsen ins Zielhabitat „Sternberg“ umgesiedelt.
Die erste Einfangphase der Zauneidechse zeigte, dass von einer höheren Populationsdichte als prognostiziert ausgehen ist. Deshalb war es erforderlich zusätzliche Flächen zu identifizieren und Zielflächen zu entwickeln.


Entwicklung eines Zielflächen- und Maßnahmenkonzeptes für Zauneidechsen
Im Rahmen der Erschließungsplanung wurde im November 2018 die erforderliche artenschutzrechtliche Relevanzprüfung von der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) und dem Stadtplanungsamt durchgeführt mit dem Ergebnis, eine artenschutzrechtliche Prüfung (saP) zu beauftragen. Die artenschutzrechtliche Prüfung wurde unverzüglich beauftragt und Anfang März 2019 mit den Kartierungen begonnen.
Im Rahmen der artenschutzrechtlichen Kartierungen von März bis August 2019 wurden Brutvögel, Zauneidechsen, Fledermäuse, Haselmäuse und zusätzlich Käfer sowie Heuschrecken untersucht.
Es wurden streng geschützte Vogelarten des Streuobstbestandes, Fledermäuse, die europaweit geschützte Zauneidechse, die Futterpflanze des Wiesenknopfameisenbläulings sowie die Sumpfschrecke kartiert. Geschützte Heuschreckenarten sowie die Haselmaus wurden nicht festgestellt (kartiert). In den höhlenreichen Obstbäumen wurden geschützte Totholzkäferlarvenarten festgestellt.    

Antrag auf artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung
Erste Untersuchungsergebnisse im Juni 2019 wiesen auf eine hohe Population von Zauneidechsen hin. Aufgrund dieses Ergebnisses wurden ein Antrag am 18.06.2019 auf artenschutzrechtlich Ausnahmegenehmigung nach § 45 BNatSchG bei der Regierung von Unterfranken gestellt. Beantragt wurde das Einfangen, Umsiedeln und das unbeabsichtigte Töten von Zauneidechsen während der gesamten Erschließungsbaumaßnahme bis Dezember 2023 sowie das 1. Zielflächen- und Maßnahmenkonzept „Sternberg“ mit 3 Teilflächen vorgelegt.  Ein Zielflächen- und Maßnahmenkonzept beinhaltet eine geeignete Ansiedlungsfläche und fachliche Vorgaben zur Aufwertung des Lebensraums, wie Sand-, Stein und Totholzhaufen.
Diesem Ausgleichskonzept stimmte die RUF zunächst unter Auflagen zu. Ein Teil der Zauneidechsenpopulation (240 Tiere) konnten damit schon auf drei Teilausgleichsflächen am Sternberg umgesiedelt werden.
Entwicklung des 2. und 3.  Zielflächenkonzeptes
Für die im Baugebiet noch verbleibende Zauneidechsenpopulation, die bis zum 30.09.2019 noch nicht abgesammelt werden konnten, mussten weitere Ausgleichsflächen geschaffen werden. In einem zweiten „Suchlauf“ wurden gutachterlich geeignete Ausgleichsflächen identifiziert, die aufgrund der benachbarten Ackernutzung allerdings nicht akzeptiert wurden. Im darauffolgenden „3. Suchlauf“ wurden Zielflächen auf mageren Flachlandmähwiesen im FFH-Gebiet „Streuobstwiese“ vorgeschlagen. Auch diese wurden durch das Fachbüro Fabion untersucht und gutachterlich als geeignet festgestellt. Im November 2019 erfolgte eine erneute Vorlage dieser Flächen bei der RUF.  
Ablehnung des Zielflächenkonzeptes
Diese lehnte die RUF am 13.12. 2019 mit der Begründung für alle Beteiligten überraschend ab, dass ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen die BRD anhängig ist. Mit dem Vertragsverletzungsverfahren soll erreicht werden, dass sich die Quantität und Qualität des Lebensraumtyps 6510 „Magere Flachlandmähwiese innerhalb von FFH-Gebieten nicht weiter verschlechtert.
Gestützt wird diese Erkenntnis in einer Fachexpertise zum Umsiedlungsmonitoring von Zauneidechsen. In diesem Bericht wird auf den Konflikt zwischen der Besiedlung von Zauneidechsen und der daraus resultierenden negativen Beeinträchtigungen auf den Lebensraumtyp 6510 „Magere Flachlandmähwiesen“ hingewiesen.
Eine stark veränderte und verschärfte Auslegung der Gesetzeslage (Grund dafür ist ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen die Bundesrepublik Deutschland seit Herbst 2019) führten dazu, dass die mit der Regierung von Unterfranken (RUF) vorabgestimmten Zielflächenkonzepte der Stadt Aschaffenburg nicht mehr mitgetragen wurden somit nicht mehr umsetzbar sind.
Ohne ein an die rechtlichen neuen Bedingungen angepasstes Zielflächen- und Maßnahmenkonzept zum Umgang mit den Zauneidechsen, wurde durch die Regierung von Unterfranken als höhere Naturschutzbehörde keine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung für die Gesamtmaßnahme erteilt. Diese artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung ist grundsätzlich Voraussetzung, um mit der Realisierung der Baumaßnahmen beginnen zu können.


Entwicklung des 4. Zielflächenkonzeptes  
Die Stadtverwaltung musste daraufhin ihr bislang erarbeitetes Konzept in wesentlichen Teilen neu erstellen. Nach intensiven und konstruktiven Gesprächen mit der RUF, die stets geprägt waren von dem gemeinsamen Bemühen schnelle und fachlich geeignete Lösungen zu finden, konnte Anfang 2020 ein neues Zielflächenkonzept mit 7 Teilflächen entwickelt, fachlich begutachtet und für geeignet befunden werden. Mit diesen 7 Zielflächen wird nun ein Flächenpool von 6,6 ha bereitgestellt, der den Lebensraumbedarf für die umzusiedelnden prognostizierten ca. 300 adulten Zauneidechsen im Baugebiet Rotäcker abdeckt. Im Maßnahmenkonzept sind die geplanten Aufwertungen mit Biotopstrukturen auf den einzelnen Zielflächen dargestellt. Neben der Zauneidechse sind weitere streng geschützte Arten von der Erschließungsmaßnahme betroffen für die eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz erforderlich ist. Für diese Tierarten liegen artspezifische Zielflächen- und Maßnahmenkonzepte vor.  
Die erforderlichen Aufwertungsmaßnahmen konnten bereits im Zeitraum im Februar bis April 2020 umgesetzt werden. Dieses mit allen Beteiligten intensiv abgestimmte Konzept mündete am 24.03.2020 in der Erteilung der äußerst wichtigen artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung.
Durch die zunächst fehlende Ausnahmegenehmigung musste auch die für Januar/Februar 2020 geplante Verpflanzung der Mulm- und Habitatbäume in den Herbst 2020 verschoben werden.

Mit der Vorlage der Ausnahmegenehmigung und der Schaffung der Zauneidechsen-habitate, sind nun endlich die Voraussetzungen geschaffen, um die Zauneidechsenpopulation im Baugebiet Rotäcker abzufangen und auf artgerecht hergestellte Zielflächen umzusiedeln.
Fertigstellung der Zielflächen und Umsiedlung der Zauneidechsen
In Vorbereitung auf die Umsiedlung der Zauneidechsen aus dem Baugebiet “Rotäcker“ wurden im Ökokontogebiet Neurod, am Steinweg und am Sternberg insgesamt 4 neue Teilflächen mit Lebensraumstrukturen zur Ansiedlung der Zauneidechsen geschaffen. Diese sind seit Ende April 2020 fertiggestellt. Die neuen Lebensräume sind mit Sand-, Stein- und Totholzhaufen sowie mit Kombinationen von Stein-, Sandhaufen und Erdwällen ausgestattet und decken umfänglich die Lebensansprüche der Zauneidechsen ab. Kleinere Flächenanteile im Neurod wurde zum Schutz der Neuanpflanzung vor Wildverbiss mit einem Zaun umgeben, der voraussichtlich 3-5 Jahre stehen bleiben wird.  
Die Teilfläche am Bischberg wird im Mai 2020 hergestellt. Die Zielhabitate am Nordfriedhof sind als Umsiedlungsflächen vorbereitet und können bei Bedarf mit Kleinstmaßnahmen zeitnah aufgewertet werden. Die Fläche am Kühruhgraben steht der Stadt aufgrund der fehlenden Zustimmung des Miteigentümers nicht zur Verfügung.
Einfangen und Umsiedeln der Zauneidechsen und Kontrolle des „eidechsenfreien“ Baugebietes
Im Zeitraum von Ende April bis Ende September sind Mitarbeiter des beauftragen Büros Fabion aus Würzburg im Baugebiet Rotäcker bereits unterwegs um Zauneidechsen einzufangen um sie in neue Lebensräume umzusiedeln. Das Einfangen wird voraussichtlich bis Ende September 2020 andauern. Im September 2020 wird das Büro Fabion das Baugebiet in mehreren Kontrollgängen begehen um die potenziell verbliebenen Restexemplare zu erfassen. Der Gutachter hat die Feststellung zu treffen, dass das Gebiet „eidechsenfrei“ ist. Erst danach kann gebaut werden.
Kontinuierliche Weiterführung der Erschließungsplanung
Unabhängig von der Artenschutzproblematik wurde die technische Erschließungsplanung unvermindert weitergeführt. Die Ausführungsplanung und die Vergabeunterlagen sind soweit fertiggestellt, dass nach artenschutzrechtlicher Freigabe unverzüglich die Maßnahme ausgeschrieben werden kann.
Kostentragung der artenschutz- und naturschutzrechtlichen Maßnahmen
Für die artenschutzrechtlichen Maßnahmen der Herstellung und Entwicklung der Zauneidechsenlebensräume, der Aufstellung des Fangzauns und das Umsiedeln der Zauneidechsenpopulation entstehen für die Grundstückseigentümer keine Kosten.
Für die naturschutzrechtlichen Kompensationsmaßnahmen auf der Ausgleichsfläche im Baugebiet und im Ökokontogebiet „Neurod“ werden Kosten für Grundstückseigentümer im Rahmen der Kostenrückerstattungssatzung anfallen.
Öffentlichkeitsinformation
Die Öffentlichkeit wurde bereits zur Errichtung der Zielhabitate für die Zauneidechse und die damit verbundene Umsiedlung der Zauneidechsenpopulation über das Main-Echo, das Schweinheimer Mitteilungsblatt und über die Homepage der Stadt informiert.
Im Neurod werden zudem im Mai ergänzende Informationstafeln aufgestellt, die über den Sachverhalt der artenschutzrechtlichen Maßnahmen informieren und erläutern was es mit den Steinschüttungen, Totholzhaufen etc. auf sich hat.
Weiteres Vorgehen
Aufgrund der sehr komplexen Sachlage muss die Stadtverwaltung mit Bedauern mitteilen, dass sich der voraussichtliche Abschluss der Erschließungsarbeiten um rund ein Jahr verzögert. Die einzelnen Umsetzungsschritte sind:
Mit dem Bericht zur erfolgreichen Umsiedlung der Zauneidechsenpopulation (vorausgesetzt das Gebiet ist „zauneidechsenfrei“) kann das bereits vorbereitete Vergabeverfahren für die Bauleistungen starten.
Eine Vergabe der Bauleistungen ist für die erste Sitzungsrunde in 2021 (Januar) vorgesehen.
Die Tiefbauarbeiten können damit im März 2021 beginnen und werden im August/ September 2022 soweit abgeschlossen sein, dass im September 2022 private Baumaßnahmen begonnen werden können.
Hieraus ergibt sich, dass private Bauanträge bereits ab März 2022 eingereicht werden könnten.
Von Frühjahr 2022 bis Frühjahr 2023 sind die Arbeiten an den Freianlagen geplant, zunächst noch parallel zur Fertigstellung der Erschließungsanlagen.

Angaben zu den Kosten:
Die Kosten der artenschutzrechtlichen Maßnahmen sind im Haushalt 2020 eingestellt.


Zusammenfassend kann festgestellt werden:
  • Die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zu den o.g. Erschließungsarbeiten wurde mit Datum 24.3.2020 von der Regierung von Unterfranken (RUF) erteilt.

  • Erst mit der erfolgreichen Umsiedlung der Zauneidechsenpopulation kann das Vergabeverfahren für die Erschließungsarbeiten eröffnet werden.

  • Der voraussichtliche Abschluss der Erschließungsarbeiten verzögert sich hierdurch um rund ein Jahr.

.Beschluss:

I. Der Bericht der Verwaltung über die Erschließung des Baugebietes „Rotäcker“, über die artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung und zum zeitlichen Vorgehen wird zur Kenntnis genommen.

II. Angaben zu den Kosten:

Durch den Vollzug dieses Beschlusses entstehen Kosten:
ja [ X ]
nein [   ]

Sofern Kosten entstehen:


Die Kosten sind im laufenden Haushaltsplan veranschlagt
ja [ X ]
nein [   ]
Es entstehen Folgekosten
ja [ X ]
nein [   ]
Häufigkeit der Folgekosten
einmalig
[  ]
wiederkehrend
[ X ]

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 0, Dagegen: 0

Datenstand vom 07.10.2020 08:57 Uhr