Ausgangssituation
Der Baumbestand mit acht Winterlinden auf dem Flurstück Nr. xxx, Gemarkung Aschaffenburg, „In den Sauerswiesen 1“ wurde für die geplante Ausweisung als Naturdenkmal mit Bescheiden vom 15.07.2021 einstweilig sichergestellt.
Abbildung 1: Luftbild der Winterlinden auf dem Grundstück „In den Sauerswiesen 1“
Durch die einstweilige Sicherstellung sollte die Winterlindengruppe bis zum Abschluss des Verfahrens zur Unterschutzstellung als Naturdenkmal gesichert und in ihrem aktuellen Status erhalten werden.
Im Rahmen einer vorläufigen und überschlägigen Betrachtung war die untere Naturschutzbehörde zu dem Ergebnis gekommen, dass die Winterlinden die Kriterien für eine Unterschutzstellung als Naturdenkmal erfüllen. Grundlage für diese Beurteilung war die aus der Distanz vorgenommene Betrachtung der belaubten Winterlinden im Sommer 2021 von außerhalb der Grundstücksgrenze.
Am 06.10.2021 beschloss der Umwelt-, Klima- und Verwaltungssenat die Durchführung eines Unterschutzstellungsverfahrens für die Winterlindengruppe.
Gegenstand des Beschlusses war auch die Einholung zweier Fachgutachten zur Überprüfung der Wertigkeit der Winterlinden in Bezug auf den Artenschutz sowie deren Standfestigkeit und Stabilität. Im Rahmen der Erstellung der Fachgutachten erfolgte auch eine Begutachtung der Winterlinden durch die untere Naturschutzbehörde von innerhalb des Grundstückes.
Da bisher nur eine überschlägige Betrachtung der Winterlinden aus der Distanz erfolgt war, sollen die Ergebnisse der Gutachten sowie der Ortstermin vom 04.02.2022 als Entscheidungsgrundlage im Hinblick auf die geplante Ausweisung als Naturdenkmal dienen.
Da die Ergebnisse der Begutachtung der Winterlinden am 04.02.2022 von maßgeblicher Bedeutung für die Frage der Unterschutzstellung sind, werden nachfolgend zunächst die Ergebnisse der beiden Fachgutachten dargestellt.
Zusammenfassung der fachlichen Begutachtung des Baumbestandes
Die Baumprüfung wurde vom Sachverständigenbüro Leitsch (Groß-Gerau) bei einem Ortstermin am 04.02.2022 im Hinblick auf die Untersuchung der Stand- und Bruchsicherheit, Erhaltungswürdigkeit und –fähigkeit sowie der Prüfung eventuell erforderlicher baumpflegerischer Maßnahmen in Form einer visuellen Begutachtung nach der geltenden FLL-Baumkontroll-Richtlinie ausgeführt.
Die 8 Winterlinden (Tilia cordata) stehen im Osten der Stadt Aschaffenburg auf dem eingezäunten Wiesengrundstück „In den Sauerswiesen 1“, welches nördlich an die Ludwigsallee angrenzt. Im näheren Umfeld findet man eine Baustruktur mit Vorstadtcharakter, mit teilweise älterem Baumbestand im Norden an der Ludwigsallee. In ca. 200 m in östlicher Richtung beginnt der Außenbereich mit dem als Stadtbiotop kartierten Areal rund um den Büchelberg, das mit Wiesen und Gehölzbeständen abwechslungsreich strukturiert ist und eine hohe ökologische Wertigkeit hat.
Die Beurteilung der Bäume erfolgte im Februar, im unbelaubten Zustand, da eventuelle Auffälligkeiten/Schädigungen besser sichtbar und prüfbar sind.
Die Winterlinden haben ein geschätztes Alter zwischen 80 und 100 Jahren, wurden vermutlich zeitgleich gepflanzt und befinden sich in der Alterungsphase. Die Gesamtwuchshöhe liegt bei 14 m bis 19 m mit einem Stammumfang von 1,60 m bis 2,14 m.
Die Bäume wurden unfachgemäß auf einer Stammhöhe von 2 m bis 5 m gekappt, dann nicht regelmäßig gepflegt und vor einigen Jahren in einer Höhe zwischen 10 m-13 m erneut stark eingekürzt.
Durch die Schnittmaßnahmen in der Vergangenheit entstanden Stammköpfe. Damit wurde die typische Kronenentwicklung der Winterlinden zerstört. Aus den Rückschnitten resultieren verschiedene Beschädigungen, wie Astungswunden, Totholzanteile, Reiterate, Höhlungen und Morschungen sowie vereinzelt Rindenschäden. Diese Schäden in unterschiedlichem Ausmaß betreffen den gesamten Baumbestand und haben erheblichen Einfluss auf die Gesundheit (Vitalität) der Bäume, da die Schadstellen Eintrittspforten für Baumschädlinge und Krankheiten (z.B. Pilze, Bakterien) darstellen.
Die Vitalität der Bäume wurde nach dem 4-stufigen Modell (nach Roloff) beurteilt. Danach werden die Bäume in vier verschiedene Vitalitätsstufen eingeteilt: Vitalitätsstufe 0: gesunder Baum mit geschlossener Krone, kein Totholz, Stufe 1: Degenerationsphase (s.u.); Stufe 2: Stagnationsphase; Stufe 3: Resignationsphase (Absterben des Baumes).
Der Zustand der Baumgruppe wurde der Vitalitätsstufe 1, der Degenerationsphase zugeordnet. Die Degenerationsphase besagt, dass die Bäume geschwächt sind, das Erscheinungsbild im Kronenbereich nicht mehr geschlossen ist, sondern teilweise zerklüftet bzw. zerfranst. Dabei ist wenig Totholz sichtbar. Das Potenzial der Neuaustriebe verringert sich zunehmend und führt zwangsläufig zu einer Abnahme der Blattmasse sowie zunehmend zu einer Reduktion der Blütentracht.
Laut vorliegenden Gutachten sind aktuell an 4 Bäumen Verkehrssicherungsmaßnahmen durch Beseitigung von Totholz durchzuführen. Die Bruchsicherheit der Stämme ist zurzeit gegeben, die Standsicherheit ist ebenfalls vorhanden.
Die Erhaltung der Bäume ist nach der Einschätzung des Gutachters auf mehr als 20 Jahre (Standardwert bei Gutachten) gegeben. Es kann jedoch in absehbarer Zeit durch die Beschädigungen und das Alter der Bäume zu Bruchschäden kommen.
Für die Gewährleistung der Verkehrssicherheitserwartung wird jedoch eine jährliche Regelkontrolle empfohlen. Zusätzlich können nach Auswertung der Regelkontrolle weitere eingehende Untersuchungen zur Beurteilung der Bruch- und Standsicherheit erforderlich werden, die in der Regel mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden sind.
Nachfolgendes Foto wurde am Tag der fachlichen Begutachtung der Winterlinden aufgenommen (04.02.2022).
Abbildung 2
Zusammenfassung der artenschutzrechtlichen Abschätzung mit Hinweisen zur ökologischen Wertigkeit des Baumbestandes für die Tierwelt
Die artenschutzrechtliche Beurteilung der Winterlinden unter besonderer Berücksichtigung der ökologischen Bedeutung für die Fauna und Flora wurde vom Dipl. Biologen Marcus Stüben (Bessenbach) durchgeführt und im vorliegenden Gutachten vom 10.02.2022 dokumentiert.
Für diese Expertise wurden 2 Begehungen (am 29.12.2021, 04.02.2022) vorgenommen. Bei der Untersuchung der unbelaubten Baumgruppe erfolgte eine Überprüfung auf Vorhandensein gesetzlich geschützter Lebensstätten von Fledermäusen, Brutvögeln, Mulm-Insekten, xylobiontischer Insekten, Haselmaus u.a. mittels nichtinvasiver Untersuchungsmethoden.
Die Baumgruppe steht auf einer rasenartigen Grünfläche, die intensiv gepflegt wird. Deshalb sind keine Betroffenheiten von geschützten Pflanzen nach Anhang IV b der FFH-Richtlinie und von bodenbrütenden Vögeln zu erwarten. Auf Grund der nicht geeigneten Habitatausstattung kann das Vorkommen von Haselmäusen, Garten- und Siebenschläfern ausgeschlossen werden. Im Bereich der besonnten kurzrasigen Flächen und Offenbodenstellen ist ein Vorkommen von Sandbienen und erdnistenden Wildbienen potenziell nicht auszuschließen.
Durch die nicht fachgerechten Schnittmaßnahmen (Absägen von Starkästen und Stammabschnitten) sind Wunden entstanden, die die Bäume nicht verschließen konnten. Daraus resultieren Höhlungen, Wassertöpfe, Mulm-Höhlen und Höhlenansätze in unterschiedlichen Größen, die potenzielle (=mögliche) Habitatstrukturen für verschiedene nach Anhang IV a der FFH-Richtlinie geschützte Tierarten bieten und daraufhin untersucht wurden.
Fledermäuse:
Es gibt mehrere Baumhöhlen, die potenziell von Fledermausarten genutzt werden könnten. Da eine sommerliche Nutzung nicht auszuschließen ist, sind diese Baumhöhlen als gesetzlich geschützte Lebensstätten anzusprechen.
Vögel:
Es wurden mehrere Baumhöhlen nachgewiesen, die eine Eignung für Höhlen- und Halbhöhlenbrüter, wie z.B. Waldkauz, Dohlen, Amseln, Hausrotschwanz u.a. aufweisen. Tierische Nutzungsspuren (Kot, Federn o.ä.) wurden bei der Untersuchung nicht gefunden.
Zwei Altnester der Ringeltaube (Freibrüter) konnten vom letzten Jahr nachgewiesen werden, die nicht unter den gesetzlichen Schutz fallen.
Es wurden aktuell keine Horste, die als dauerhaft gesetzlich geschützte Lebensstätten einzustufen sind, festgestellt.
Insekten:
Die Winterlinden haben einen besonderen ökologischen Wert als Nahrungsquelle für zahlreiche Insekten wie Bienen, Hummeln, Käfer und besonders für Schmetterlinge (Tag- und Nachtfalter), die ausschließlich auf Winterlinden spezialisiert sind. Eine konkrete Ermittlung der Arten konnte auf Grund des Untersuchungszeitraumes im Winter nicht durchgeführt werden.
Xylobionte Käfer und Mulmkäfer:
Die Ermittlung von Nachweisen xylobionter Käfer und Mulm-Käfer wurde nicht durchgeführt, da dafür aufwendige und invasive Methoden erforderlich sind. Im Rahmen der durchgeführten nichtinvasiven Untersuchung wurden keine Spuren, die zum Nachweis einer dieser Arten geführt hätten, gefunden.
Langfristig wäre zu berücksichtigen, dass durch die Degenerationsprozesse an den Bäumen die abnehmende Neuaustriebsfähigkeit zur Reduktion der Blattmasse und der Blütentracht führt. Damit verringert sich das Nahrungsangebot für die verschiedenen Tierarten.
Von Bedeutung sind auch die finanziellen Folgen einer Unterschutzstellung, die nachfolgend dargestellt werden:
Finanzielle Folgen der Unterschutzstellung
Die Unterschutzstellung als Naturdenkmal hat erhebliche finanzielle Folgen für die Stadt Aschaffenburg in Form von Entschädigungsansprüchen sowie der Kosten für die Pflege des Naturdenkmals.
Entschädigungsansprüche:
Bei der Unterschutzstellung handelt es sich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums. Eine Entschädigungspflicht kann sich aus § 68 BNatSchG i. V. m. Art. 41 BayNatSchG i. V. m. Art. 10 BayEG analog ergeben.
Eine Entschädigung ist demnach zu leisten, wenn es sich bei der Unterschutzstellung um eine „unzumutbare Belastung des Eigentums“ handelt (§ 68 Abs. 1 BNatSchG).
Da das Grundstück im Bebauungsplan als Baugrundstück festgesetzt ist und vor diesem Hintergrund erworben wurde und im Falle einer Unterschutzstellung nicht mehr als Baugrundstück genutzt werden kann, ist davon auszugehen, dass eine unzumutbare Belastung des Eigentums vorliegt.
Daher muss davon ausgegangen werden, dass dem Grundstückseigentümer eine Übernahme des Grundstücks zum Verkehrswert im Zeitpunkt der Unterschutzstellung zustünde.
Das Grundstück wurde im Jahr 2021 durch den jetzigen Eigentümer gekauft. Es ist davon auszugehen, dass der komplette damals gezahlte Kaufpreis als Entschädigung zu zahlen wäre.
Kosten für die Pflege des Naturdenkmals:
Die Berechnung basiert auf aktuellen Durchschnittswerten. Den erforderlichen Umfang an Pflegekosten und Kosten für eingehendere Untersuchungen für die nächsten 20 Jahre beruhen auf Schätzungen. Die ermittelten Kosten für die Winterlinden-Baumgruppe werden wie folgt ermittelt:
Kosten für die Regelkontrolle pro Jahr: ca. 960 € für 20 Jahre: ca. 19.200 €
Kosten für eingehende Untersuchungen (wg. Stand- und Bruchsicherheit):
Einmalig für alle Bäume: ca. 8.000€ für 20 Jahre (4 Untersuchungen): ca. 32.000 €
Kosten für Pflegemaßnahmen (wie z.B. Totholzbeseitigung, Rückschnitte u.a.)
Einmalig für alle Bäume ca. 2.400 € für 20 Jahre (6 Pflegegänge) ca. 48.000 €
Summe in 20 Jahren: ca. 99.200 €
Es könnten materielle Aufwendungen in der Größenordnung von 100.000 € für die nächsten 20 Jahren entstehen, die Grundstückspflege wurde hierbei nicht berücksichtigt. Wie bereits ausgeführt, befinden sich die Winterlinden aktuell in der Degenerationsphase. Da von einer weiteren Beschleunigung der beginnenden Abbauphase ausgegangen werden kann, lässt sich der exakte finanzielle Aufwand zur Pflege und Erhaltung der Stand- bzw. Verkehrssicherheit der Winterlinden nicht konkret beziffern.
Bewertung der Fachgutachten durch die untere Naturschutzbehörde:
Bewertung Baumgutachten:
Der arttypische Habitus der Winterlinden konnte sich durch die engen Baumabstände nur bedingt entwickeln und wurde primär durch nicht fachgerechte Pflege- bzw. Schnittmaßnahmen in der Vergangenheit zerstört. Aktuell sind die Stand- und Bruchsicherheit gegeben. Von einer Gefährdung des Gebäudes auf dem Nachbargrundstück durch das Wurzelwerk der Baumgruppe wird laut Gutachten nicht ausgegangen.
Die vorhandenen Baumschäden - die in unterschiedlichem Ausmaß alle Bäume betreffen – bei denen Höhlenansätze, kleinere Höhlen und Vermorschungen entstanden sind, werden sich langfristig durch Umwelteinflüsse weiterhin vergrößern. Das bedeutet für die Bäume eine gesteigerte Vermorschung und Entstehung von Faulstellen, die sich wiederum negativ auf die Stand-/ Bruchsicherheit und Vitalität der Bäume auswirken. Durch die veränderten klimatischen Verhältnisse (Hitze, Trockenheitsstress, Schädlingsproblematik) ist davon auszugehen, dass die Degenerationsphase, also die beginnende Abbauphase bzw. der Alterungsprozess noch weiter beschleunigt wird. Es ist zukünftig mit einem erheblichen, reell nicht abschätzbaren Pflegeaufwand zur Erhaltung der Stand- bzw. Verkehrssicherheit der Bäume zu rechnen. An die Verkehrssicherheit werden an diesem Standort erhöhte Erwartungen gestellt, da unmittelbar an das Grundstück ein bebautes Grundstück und ein Fußweg angrenzen.
Bewertung Artenschutzgutachten:
Aus artenschutzrechtlicher Sicht stellen die Winterlinden einen potenziellen (=möglichen) Lebensraum für die potenziellen (eventuellen) Nutzerarten, wie z.B. Fledermäuse, Vögel und Insekten dar.
Es konnten Nachweise von Baumhöhlen, Mulm-Höhlen, Wassertöpfen und Höhlenansätzen
geführt werden, die teilweise eine Eignung als Lebensstätte für Brutvögel oder Fledermäuse und u.U. für Mulm-Insekten aufweisen. Bedingt durch die Veränderung von Höhlenansätzen durch Witterungs- und Umwelteinflüsse können sich daraus zukünftig neue Habitatstrukturen entwickeln.
Im Rahmen der Untersuchungen wurden keine planungsrelevanten gesetzlich geschützten Tier- oder Pflanzenarten nachgewiesen.
Durch weitere Vermorschungen und Abbauvorgänge an den Bäumen, den Höhlen, Mulm-Höhlen und Wassertöpfen können potenziell langfristig neue Lebensraumstrukturen (größere Höhlungen und Mulmtöpfe) für die Fauna entstehen. Diese Abbauprozesse sind positiv für die Tierwelt, aber negativ für die langfristige Erhaltung und die notwendige Verkehrssicherungserwartung der Winterlinden, da diese Prozesse mit einer Verminderung der Baumvitalität einhergehen.
Bei einer Fällung der Bäume im Zuge der baulichen Nutzung des Grundstücks, die bei einem Verzicht auf die Unterschutzstellung als Naturdenkmal möglich wäre, sind die Winterlinden erneut vor der Fällung von einem Fachmann (z.B. Biologen) zu untersuchen, da die artenschutzrechtlich relevanten Strukturen an den Bäumen (z.B. Höhlungen, Risse, Mulm etc.) Veränderungen durch die Baumalterung und äußere Umwelteinflüssen unterliegen und zwischenzeitlich neue gesetzlich geschützte Lebensstätten entstehen können.
Bewertung der Kriterien für eine Unterschutzstellung als Naturdenkmal:
Gemäß § 28 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) handelt es sich bei Naturdenkmälern um rechtsverbindlich festgesetzte Einzelschöpfungen der Natur oder entsprechende Flächen bis zu fünf Hektar, deren besonderer Schutz erforderlich ist
- aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen oder landeskundlichen Gründen oder
- wegen ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit.
Die Schutzwürdigkeitskriterien der wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen sowie landeskundlichen Gründe liegen bei den Winterlinden offenkundig nicht vor.
Artenschutzrechtliche Gründe allein rechtfertigen nicht die Ausweisung eines Naturdenkmals, eine Ausweisung eines Naturdenkmals aus Gründen des Arten- und Biotopschutzes ist von dem § 28 BNatSchG nicht gedeckt (Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG. § 28 Rn. 16f.)
Die Einhaltung der artenschutzrechtlichen Bestimmungen ist selbst gesetzlich über die Regelungen der §§ 39 und 44 BNatSchG geregelt.
Nachfolgend wird dargestellt, wie sich die relevanten Kriterien definieren lassen und inwieweit sie im Fall der Winterlinden erfüllt bzw. nicht erfüllt sind.
Definition der Einzelschöpfung:
Wesentlich für das Kriterium der Einzelschöpfung ist, dass das geschützte Objekt besondere Eigenschaften besitzt, die es von anderen seiner Art wesentlich abhebt.
Naturdenkmäler müssen eine gewisse Objekthaftigkeit und Beständigkeit im äußeren Erscheinungsbild aufweisen, sowie ortsfest und dauerhaft sein (Lütkes/Ewer/Heugel, BNatSchG § 28 Rn. 3).
Die im Gutachten festgestellten vorhandenen Baumschäden werden sich langfristig negativ auf die Stand-/Bruchsicherheit und Vitalität der Bäume auswirken.
Da zu erwarten ist, dass sich die Degenerationsphase noch weiter beschleunigen wird, kann die Winterlindengruppe langfristig nur mit einem erheblichen Pflegeaufwand erhalten werden. Durch die langfristig notwendigen erheblichen Pflegemaßnahmen ist jedoch damit zu rechnen, dass sich dadurch das äußere Erscheinungsbild in Zukunft weiterhin deutlich sichtbar verändern wird. Eine Beständigkeit im äußeren Erscheinungsbild ist damit dauerhaft nicht gewährleistet.
Definition der Seltenheit:
Selten ist ein Einzelobjekt dann, wenn es sich von anderen Objekten seiner Art deutlich unterscheidet. (Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 28 Rn. 19). Das Naturdenkmal muss eine besondere Ausgestaltung besitzen, die sonst kaum vorkommt.
Bewertung der Seltenheit:
Bei den Winterlinden selbst handelt es sich um keine seltene Baumart im Gebiet der Stadt Aschaffenburg. Im Rahmen der Ortsbesichtigung wurde zudem deutlich, dass auch die Anordnung der Einzelbäume zur Winterlindengruppe keinen wie zuvor angenommenen Alleecharakter aufweist, welcher eine Unterschutzstellung aus Gründen der Seltenheit rechtfertigen könnte.
Durch die unfachmännischen Kappungen und Rückschnitte liegt eine Wuchsform vor, die von der üblichen Ausprägung von Winterlinden abweicht (s. dazu Abbildungen 5 und 6). Die Auswirkungen dieser Kappungen und Rückschnitte auf die Winterlinden sind eher als negativ anzusehen, was insbesondere durch die abnehmende Vitalität sowie die optische Erscheinung (s. u.) deutlich wird.
Definition der Schönheit:
Der Begriff der Schönheit stellt auf das ästhetische Empfinden ab. Als Maßstab gilt das Empfinden des gebildeten, für die Gedanken des Natur- und Landschaftsschutzes aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters (Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, § 1 Rn. 63). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich darüber, was intuitiv als schön empfunden wird, ein Konsens erreichen lässt. Obwohl bei einer ästhetischen Wertung Subjektivität nicht vermeidbar ist, muss diese Wertung intersubjektiv nachvollziehbar sein (Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, § 28 Rn. 54). Je weiter verbreitet das Objekt seiner Art nach ist, desto höher sind die Anforderungen an die Schönheit.
Bewertung der Schönheit:
Insbesondere beim Betrachten der Winterlinden im unbelaubten Zustand, bei welchem die vorhandenen Schädigungen und die damit verbundene zerstörte arttypische Wuchsform der Winterlinden deutlich sichtbar sind, ist davon auszugehen, dass ein dem Naturschutz gegenüber aufgeschlossener Durchschnittsbetrachter nicht zu dem Ergebnis kommen kann, dass diese Winterlinden im Vergleich zu anderen Bäumen ihrer Art ein besonders ästhetisches Erscheinungsbild besitzen. Die natürliche Schönheit der Winterlinden, die sich an der naturtypischen Wuchsform dieser Baumart orientiert, wurde durch die Kappungen und Rückschnitte nachhaltig zerstört.
Auch beim Vergleich der Winterlinden mit dem üblichen Wuchs von Bäumen dieser Art sowie mit anderen Naturdenkmälern wird deutlich, dass die Winterlinden das optische Erscheinungsbild betreffend deutlich hinter diesen zurückstehen (s.u., Abbildungen 5-8).
Die nachfolgenden Fotos wurden bei der Ortseinsicht am 04.02.2022 aufgenommen.
Abbildung 3
Abbildung 4
Definition der Eigenart:
Die Eigenart stellt auf das individuelle Erscheinungsbild ab. Das Objekt muss sich durch eine gewisse „Eigentümlichkeit“ auszeichnen und nicht der „normalen Ausprägung“ entsprechen. D. h. es muss sich von anderen Objekten seiner Art durch besondere Merkmale deutlich positiv unterscheiden.
Als Baumdenkmäler kommen insbesondere Bäume mit hohem Alter, außergewöhnlichem Wuchs (z. B. Größe, aber auch sonstige Eigenart, z. B. „Doppel-Eiche“) und landschaftsprägendem Standort, wobei es sich um Einzelbäume, Baumgruppen oder Alleen handeln kann.
Bewertung der Eigenart:
Die unfachgemäßen massiven Kappungen haben den arttypischen Wuchs der Winterlinden zerstört. Da der natürliche Habitus der Winterlinden so stark geschädigt und die Winterlinden durch die sehr engen Baumabstände in ihrer Wuchsentwicklung beeinträchtigt sind, spricht dies gegen eine Unterschutzstellung aufgrund der Eigenart der Winterlinden.
Gerade im Vergleich zur üblichen Wuchsform von Winterlinden sowie zu anderen Naturdenkmälern der Stadt Aschaffenburg (dazu beispielhaft die nachfolgenden Abbildungen) wird deutlich, dass sich diese im Vergleich mit den Winterlinden in den Sauerswiesen bezüglich ihrer Eigenart und Schönheit deutlich hervorheben.
Abbildung 5 (xxx)
Abbildungen 5 und 6: Darstellung der typischen Wuchsform einer Winterlinde (Quelle: xxx) im Vergleich zu den Winterlinden in den Sauerswiesen (Quelle: Gutachten Sachverständigenbüro Leitsch vom 21.03.2022)
Abbildung 7: Foto der Kastanienallee des Naturdenkmals „Baumbestand am ehemaligen Offiziers-Casino, Berliner Allee“
Abbildung 8: Foto der als Naturdenkmal geschützten Linde im Bohlenweg
Abschließendes Fazit und Beschlussvorschlag:
Erst im Rahmen des Ortstermins vom 04.02.2022 konnte das erhebliche Ausmaß der Schädigungen der Winterlinden in vollem Umfang wahrgenommen werden.
Die Baumgruppe ist durch einen engen Stand der Bäume ohne den vermuteten alleeartigen Charakter und durch zahlreiche dünnere Langtriebe am Kronenansatz gekennzeichnet. Durch die geringen Abstände zwischen den Bäumen wurden in der Vergangenheit Rückschnitte der Kronen durchgeführt. Diese unsachgemäßen Schnittmaßnahmen an der Baumgruppe in Form von zweifach durchgeführten Kappungen - führten nicht nur zu erheblichen Schäden an allen Bäumen (wie z.B. Astungswunden, Rindenschäden, und Morschungen), sondern auch zur Zerstörung des für die Winterlinden typischen Kronenaufbaus. An den Kappungsstellen sind anstelle von Starkästen zahlreiche bruchgefährdete Langtriebe gewachsen. Bei Abbruch dieser Triebe entstehen weitere zusätzliche Schadstellen, die Eintrittspforten für Baumschädlinge und Krankheitserreger darstellen. Die beschriebenen Schäden haben langfristig erhebliche negative Auswirkungen auf die Baumgesundheit und führen damit zur Beeinträchtigung der Stand- und Bruchsicherheit sowie zur Reduzierung der Verkehrssicherheit der Bäume.
Anhand der vertieften Prüfung der Winterlinden in Form der Begutachtung im Rahmen der Ortseinsicht sowie der beiden Fachgutachten hält die untere Naturschutzbehörde eine Unterschutzstellung als Naturdenkmal für nicht gerechtfertigt. Die Schutzwürdigkeitskriterien für eine Unterschutzstellung als Naturdenkmal sind nicht erfüllt.
Auch die erheblichen finanziellen Kosten für die Stadt Aschaffenburg für die Entschädigungszahlungen sowie die Pflegekosten wären für eine Unterschutzstellung dieser Baumgruppe in ihrer Ausprägung nicht verhältnismäßig.
Wie oben dargestellt, ist eine Unterschutzstellung der Winterlinden aufgrund des aktuellen Zustandes und der absehbaren Entwicklung, der fehlenden Schutzwürdigkeit sowie der finanziellen Auswirkungen – auch unter Abwägung der Wertigkeit insbesondere für den Artenschutz sowie der Berücksichtigung der Vorbildfunktion der Stadt Aschaffenburg - nicht gerechtfertigt.
Daher wird unter Abwägung aller Gesichtspunkte empfohlen, auf eine Unterschutzstellung der „Winterlinden in den Sauerswiesen“ als Naturdenkmal zu verzichten und die einstweilige Sicherstellung vom 15.07.2021 durch die untere Naturschutzbehörde aufheben zu lassen.
Durch diese Entscheidung wird auch der Beschluss des Umwelt-, Klima- und Verwaltungssenates vom 06.10.2021 zur Durchführung eines Unterschutzstellungsverfahrens aufgehoben.
Begründung der Angaben zur Klimawirkung:
Der Beschluss wird als teilweise klimarelevant eingestuft, da bei einem Verzicht auf eine Unterschutzstellung als Naturdenkmal und der Aufhebung der einstweiligen Sicherstellung eine Fällung der Winterlinden und damit ein Verlust der Winterlinden mit ihrer Funktion für das Kleinklima möglich ist.