Datum: 19.06.2023
Status: Abgeschlossen
Sitzungsort: kleiner Saal der Stadthalle am Schloss
Gremium: Haupt- und Finanzsenat
Nichtöffentliche Sitzung
Öffentliche Sitzung, 17:30 Uhr bis 18:03 Uhr


Öffentliche Sitzung

TOP-Nr.SP-Nr. Bezeichnung
1HFS/7/11/23 Haushaltsanpassung zum städtischen Förderprogramm für Solarstromanlagen
2HFS/7/12/23 Behandlung des Antrags von Herrn Stadtrat Falko Keller (AfD) vom 12.05.2023 wegen "Erinnerungs- und Informationstafel Fundort Weltkriegsbombe"

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1. / HFS/7/11/23. Haushaltsanpassung zum städtischen Förderprogramm für Solarstromanlagen

Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Haupt- und Finanzsenat 7. Sitzung des Haupt- und Finanzsenates 19.06.2023 ö Beschließend 1HFS/7/11/23

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Beschlusslage
In der Sitzung vom 7.12.2022 hat der UVKS dem Vorschlag der Verwaltung zugestimmt, ein Förderprogramm für PV-Anlagen aufzulegen. In den anschließenden Haushaltsberatungen für den Haushalt 2023 wurde durch den Stadtrat ein Förderbetrag von 80.000 € für 2023 bereitgestellt. In den Folgejahren sollten – vorbehaltlich der jeweiligen Haushaltsberatungen – in jedem Haushaltsjahr 100.000 € zur Verfügung gestellt werden.
Dem Förderprogramm lag der Gedanke zugrunde, dass das Ziel der Stadt, Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, nur möglich ist, wenn der PV-Anteil deutlich ausgebaut wird. Mangels Flächenpotentiale für größere PV-Freianlagen muss im Stadtgebiet der Focus auf Gebäude- und Kleinanlagen liegen.         
PV-Strom, welcher auf dem Territorium der Stadt erzeugt und verbraucht wird, schlägt sich direkt entlastend auf die CO2-Bilanz der Stadt nieder. Gerade bei Kleinanlagen ist der Anteil des Eigenverbrauchs sehr hoch.        

Durch das Förderprogramm sollte für die Bürger ein Anreiz geschaffen werden, sich beraten zu lassen. Erklärtermaßen war es nicht vorrangiges Ziel des Förderprogrammes, durch einen sehr hohen Förderbetrag die Investition in die PV-Anlage zu beschleunigen, sondern viel mehr durch Beratungen im Zuge einer Kampagne den Prozess zu beschleunigen. Zumindest gilt dies im Hinblick auf die Gebäudeanlagen. Bei den Kleinanlagen sollte dagegen durchaus ein in Relation etwas größerer finanzieller Anreiz für einkommensschwächere Haushalte gesetzt werden.
Bei der Kalkulation des Arbeitsaufwandes und des Förderbetrages ist man davon ausgegangen, dass im ersten Förderjahr ca. 20 Aufdachanlagen und ca. 40 Balkonanlagen zu bearbeiten wären, wobei nicht klar war, wie sich die veränderten Fördermodalitäten auf Bundesebene, die steigenden Energiepreise aufgrund der Energiekrise und die Material- und Handwerkskapazitäten auf das Antragsaufkommen auswirken würden.



  1. Tatsächliche Entwicklung

  1. Fallzahlen
Die regelmäßig veröffentlichten Daten der Bundesnetzagentur zeigen, dass der Ausbau der Solarenergie in 2023 massiv zugenommen hat. So ging der Anlagenzubau in diesem Bereich vom Höchststand im September 2022 von 789 MW auf 416 MW im Dezember 2022 zurück um dann im Januar 2023 auf 899 MW anzusteigen. Im März 2023 lag der Zubau bundesweit bei 944 MW. Das gleiche Bild zeigt sich in Bayern. Lag der Zubau im Dezember 2022 noch bei rund 130 MW, wurden von Januar bis April 2023 rund 955 MW zugebaut, also monatlich durchschnittlich 238 MW.
Das gleiche Bild zeigt sich im Stadtgebiet. Laut AVG-Statistik sind die monatlichen Zubau-Raten im AVG-Stadt-Netz beim dreifachen im Vergleich zu den „besten-Solarzeiten“.
Diese sprunghafte Entwicklung spiegelt auch der Anstieg der Förderanträge beim Amt für Umwelt und Verbraucherschutz wieder: 
Förderanzahl / Status der Zuwendungsbescheide Mitte Mai 2023:
  • 73 Aufdachanlagen                   mit bislang 570 kWp          und rd. 85.000 € Fördersumme
  • 116 Mini -„Balkon“-Anlagen        mit bislang 62 kWp            und rd. 15.000 € Fördersumme
Ursächlich für den Anstieg war zumindest auch, dass es mehr Anbieter gibt und z.T. sehr rasche Umsetzungen in 3 bis 6 Wochen stattfinden:
  • es gibt neue regionale „Solarteure“;
  • Viele überregionale Betriebe – z.T. Franchiser – die zunehmend und überraschend schnell auch in Aschaffenburg arbeiten;
  • Regionale Firmen sind z.T. stark gewachsen – einige davon lehnen inzwischen weitere Anfahrten zur Montage ins Umland ab;
  • im Bereich „Balkonanlage“ ist auch auf Seiten der Anbieter geradezu ein „Hype“ ausgebrochen: mehrere neue regionale Anbieter bzw. Solarfirmen, Internet, Baumärkte, Diskounter, ….
Die ursprüngliche Einschätzung im Hinblick auf das „Handwerkerpotential“ war damit überholt. Man nahm an, dass das Handwerk Anlaufzeit zur Installationssteigerung benötigt. Der Nachfrage-Markt galt bereits als überhitzt, die Handwerker „am Kapazitätslimit“. Der Fachkräftemangel gab wenig Hoffnung auf Besserung. Dazu galt der Bauteilemangel als eklatant (insbesondere Wechselrichter, Alu-Profile, Dach-Haken, Sonderziegel). Auch waren aus der Vergangenheit außerdem seitens der Bauherren längere Vorlaufzeiten für Angebots-Einholung – sowie Vergleich und Entscheidung üblich.        


  1. Personalaufwand
Überholt ist damit auch der im SR-Beschluss vom Dez.2022 (Seite-3) zum Förderprogramm prognostizierte Personalaufwand. Der Verwaltungsaufwand ist nun rd. 8-mal höher und passt nicht mehr in den geregelten Ablauf. Der wesentliche Aufwand liegt im Förderprogramm für Aufdachanlagen (Beratung, Antragsfehler). Das Förderverfahren für Balkon-PV ist deutlich weniger personalintensiv (Pauschalbeträge ohne Berechnungsnachweis).
Ohne zusätzliches Personal kann das Programm nicht unverändert fortgeführt werden.        


  1. Kosten
Das Förderbudget von 80.000 € für 2023 ist bereits ausgeschöpft. Bis Mitte Mai wurden insgesamt rund 100.000 € Fördermittel bewilligt. Der Mehrbedarf an Finanzmittel ist zurzeit haushaltstechnisch noch über einen sogenannten Deckungsring abgedeckt. Zu diesem Deckungsring gehören auch die Mittel für das Klimaquartiersmanagement, die in diesem Haushaltsjahr nur in eingeschränktem Umfang benötigt werden. Werden die Fördermittel unverändert weiterbezahlt, wird dieser Deckungsposten nicht ausreichen. Auf das Jahr hochgerechnet käme ohne Anpassung der Förderrichtlinien und bei bleibender Antragsflut eine Fördersumme von rund 240.000 € im Jahr 2023 zusammen.        



  1. Änderung der Fördermodalitäten

  1. Beibehalten der Förderung für Kleinanlagen
Die Verwaltung schlägt vor, dass das Balkon-PV-Programm unverändert weiterlaufen soll. Aktuell geschätzter Haushaltsbedarf: (50.000 €/a).  
Dies würde auch das ökumenische Projekt der Sozialen Energieberatung sehr begrüßen (Diakonie & Caritas). Dieses Beratungsprojekt ist eine Empfehlung des Nachhaltigkeitsbeirates Ag21 vom Juli 2022 und UKVS-Beschluss von 19.04.2023.  Von den Projektbetreibern ist gewünscht und geplant in einigen ausgewählten Haushalten auch die Balkonanlagen inkl. Förderprogramm in die Beratung einzubinden. Der Sozial-Bonus konnte bis Mitte Mai 2023 erst einmal abgerufen werden.        
  1. Gebäudeanlagen
Die Verwaltung schlägt vor, dass auch das Förderprogramm für Aufdachanlagen weiterlaufen soll, allerdings mit angepassten Förderregularien. Die Entwicklung zeigt, dass die kommunalen Fördermittel für die Investitionsentscheidung häufig ein wesentlicher „Interessenswecker“ – oft aber auch von untergeordneter Bedeutung sind. Um für Bürger verwirrende Unterbrechungen des Förderprogrammes zu vermeiden und weiterhin auch im Aufdachbereich einen Anreiz zu setzen, sich beraten zu lassen, wird vorgeschlagen das Förderprogramm ohne Unterbrechung weiterlaufen zu lassen.
Zur Finanzierung der weiteren Fördermittel wird eine Erhöhung des Haushaltsansatzes um 100.000 € vorgeschlagen. Eine teilweise Refinanzierung kann über noch nicht benötigte Mittel aus dem Klimaquartiersmanagement erfolgen, weil sich dessen Einführung verzögert. Für die Bereitstellung der zusätzlichen Mittel ist nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 der Haupt- und Finanzsenat zuständig.
Die Verwaltung wird aber dem Stadtrat zum Jahreswechsel einen neuen Zwischenbericht vorlegen auf dessen Grundlage dann entschieden werden kann, ob und ggf. mit welchen Modalitäten das Programm weitergeführt wird.

  1. Erläuterungen zur Klimarelevanz-Einstufung: 
Die Einordnung kommunaler Ratsbeschlüsse in „Klimarelevanz-Kategorien“ gemäß den Empfehlungen von IFEU-Heidelberg / Klima-Bündnis ist nicht anzuwenden für private Investitionen, auch wenn diese kommunal gefördert werden. 
Der eigentlichen Ansatz gilt für direkte kommunale Investitionen / Handlungen.

Und trotzdem – hier ein Vergleichsversuch: 
Kommunale PV-Anlagen haben dann die höchste Klimarelevanz-Kategorie „sehr klimarelevant“, wenn die Generator-Größe über  340kWp liegt.  
Vergleich zum bereits laufenden Förderprogramm: Im Rahmen von drei Monaten Förderungen liegen die geförderten Anlagen in Aschaffenburg schon bei rd. der doppelten Leistung.


Hinweis zu weiteren kommunale PV-Aktivitäten / Beratung / Status Quo:

Gewerbe und Kirchengemeinden:
Die PV-Beratung des Klimaschutzmanagers bei Neubau von Industrie und Gewerbebauten: 
sowie Kirchengemeinden wird parallel zur Bürgerberatung fortgesetzt. Die im UKVS-Beschluss vom Dez. 2022 beschriebene Beratungs-Partnerschaft mit der Hochschule Aschaffenburg hat weiter Bestand.

Das Solarkataster – mit zunehmender Beliebtheit    www.aschaffenburg.de/solarkataster/
Das zusammen mit den beiden Landkreisen im Bayerischen Untermain eingeführte Solarkataster ist immer ein wichtiger Teil der Solar-Beratungen. In den Anfangsjahren lagen die online-Klickraten klar unter 4.000/a - trotz mehrerer Pressemeldungen.  
Neu: Im Jahr 2022 und in den ersten Monaten 2023 lagen nun die Klickraten bei Faktor-4 höher. Die Rekordmonate sind jeweils der März 2022 & 2023 mit je über 1.400 Klicks/Monat
(hier alle Zahlen für den gesamten Bay. Untermain – Stand 1.4.2023).

Förderprogramm von PV-Anlagen für Kindereinrichtungen in Aschaffenburg:
Kraft Stadtratsbeschluss Zuwendungsbescheide für Anlagen ab am 1.1.2022. 
Vorab – schon bei der Veröffentlichung: Beginn intensiver Beratungsgespräche in den Einrichtungen durch den Klimaschutzmanager und einer Studentin. 
März 2022: Erster Förderantrag inkl. Angebot.
Juni  2022:  Erste Inbetriebnahme mit komplett laufender Anlage (Obernau).

PV-Einweihungsfeiern bzw. Inbetriebnahme durch die Kindergärten mit Eltern:
  1. Obernau Peter & Paul:                  02.  Juli 2022;            Größe:        (24 kWp)
  2. Christuskirche – Dinglerstr:          02.  Mai 2023                      (17 kWp)
  3. Schwalbennest Schweinheim:         11. Mail 2023                      (22 kWp)
  4. St. Vinzenz Schweinheimer:          30. Juni 2023                     (12 kWp)
Die Haushaltsmittel für 2022 und 2023 sind bereits zum großen Teil genutzt.
Für des Jahr 2024 werden gemäß Beschluss weitere 20.000 € im Haushalt angemeldet.

.Beschluss:

I. 
  1. Das kommunale Förderprogramm für PV-Anlagen wird trotz Ausschöpfung der vorgesehenen Haushaltsmittel ohne Unterbrechung weitergeführt.
  2. Der Stadtrat stellt hierzu auf der Haushaltsstelle 1141.7170 überplanmäßig 100.000 € zur Verfügung. Eine teilweise Gegenfinanzierung erfolgt durch noch nicht benötigte Mittel auf der Haushaltsstelle 1141.6559.
  3. Die Verwaltung berichtet zum Ende des Haushaltsjahres 2023 über die Entwicklung des Förderprogrammes. Auf Basis des Berichts entscheidet der Stadtrat über die Fortführung des Programmes.

II. Angaben zur Klimawirkung:
Bewertung - jeweils Mehrung oder Minderung der Treibhausgase (THG)
wenig klimarelevant
teilweise klimarelevant
sehr klimarelevant
[  ]  keine weiteren Angaben erforderlich
[  ]  kurze Erläuterung in den Begründungen
[ x ]  ausführliche Erläuterung 
in den Begründungen 
Bewertungsschema nach KÖP (Klimaschutzmanagement in öffentlichen Projekten)
(Nationale Klimaschutz-Initiative  -  Klimabündnis / ifeu-Heidelberg / BMU)

III. Angaben zu den Kosten:
Durch den Vollzug dieses Beschlusses entstehen Kosten:
ja [ x ]
nein [  ]

Sofern Kosten entstehen:


Die Kosten sind im laufenden Haushaltsplan veranschlagt
ja [  ]
nein [ x ]
Es entstehen Folgekosten
ja [  ]
nein [ x ]
Häufigkeit der Folgekosten
einmalig
[ x ]
wiederkehrend
[  ]



1.        Das kommunale Förderprogramm für PV-Anlagen wird trotz Ausschöpfung der vorgesehenen Haushaltsmittel ohne Unterbrechung weitergeführt.
2.        Der Stadtrat stellt hierzu auf der Haushaltsstelle 1141.7170 überplanmäßig 100.000 € zur Verfügung. Eine teilweise Gegenfinanzierung erfolgt durch noch nicht benötigte Mittel auf der Haushaltsstelle 1141.6559.
3.        Die Verwaltung berichtet zum Ende des Haushaltsjahres 2023 über die Entwicklung des Förderprogrammes. Auf Basis des Berichts entscheidet der Stadtrat über die Fortführung des Programmes.

II. Angaben zur Klimawirkung:

Bewertung - jeweils Mehrung oder Minderung der Treibhausgase (THG)
wenig klimarelevant        teilweise klimarelevant        sehr klimarelevant
[  ]  keine weiteren Angaben erforderlich        [  ]  kurze Erläuterung in den Begründungen        [ x ]  ausführliche Erläuterung 
in den Begründungen 
Bewertungsschema nach KÖP (Klimaschutzmanagement in öffentlichen Projekten)
(Nationale Klimaschutz-Initiative  -  Klimabündnis / ifeu-Heidelberg / BMU)

III. Angaben zu den Kosten:

Durch den Vollzug dieses Beschlusses entstehen Kosten:        ja [ x ]        nein [  ]

Sofern Kosten entstehen:
Die Kosten sind im laufenden Haushaltsplan veranschlagt        ja [  ]        nein [ x ]
Es entstehen Folgekosten        ja [  ]        nein [ x ]
Häufigkeit der Folgekosten        einmalig
[ x ]        wiederkehrend
[  ]

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 15, Dagegen: 0

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2. / HFS/7/12/23. Behandlung des Antrags von Herrn Stadtrat Falko Keller (AfD) vom 12.05.2023 wegen "Erinnerungs- und Informationstafel Fundort Weltkriegsbombe"

Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Haupt- und Finanzsenat 7. Sitzung des Haupt- und Finanzsenates 19.06.2023 ö Beschließend 2HFS/7/12/23

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Der Antrag zur Errichtung einer Erinnerungs- und Informationstafel soll nach eigenen Angaben „an die Schicksale der Opfer in Aschaffenburg erinnern, aber auch versuchen, einen Bogen zu anderen verheerenden [Luft-]Angriffen (Nagasaki, Vietnam, Irak etc.) zu spannen“. Ziel des Antrags sei, auf das Leid der Zivilbevölkerung während kriegerischer Auseinandersetzungen aufmerksam zu machen.

Das Thema der zivilen Opfer von Luftangriffen findet in Deutschland große mediale Beachtung und beschäftigt auch die Geschichtswissenschaft, wie der bekannte deutsche Historiker Dietmar Süß in einem Beitrag aus dem Jahr 2005 schreibt.[1] Zahlreiche Bücher, Reportagen und Gedenkveranstaltungen erinnern an das tragische Schicksal der Opfer und die Grausamkeit von Bombenkriegen.

Doch die Erinnerung an das Leid der Zivilbevölkerung muss eine wichtige Voraussetzung erfüllen: Sie muss in den richtigen Kontext gestellt werden. Im Fall des Antrags bedeutet das: Das Leid von Zivilisten (auch in Aschaffenburg) infolge und während feindlicher Luftangriffe muss in den Kontext des nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieges in Europa eingebettet und darüber entsprechend informiert werden. Andernfalls entsteht ein verzerrtes Geschichtsbild; die Erinnerung aber darf weder selektiv sein noch zu Pauschalisierungen und historischen Fehlurteilen führen. 
 
Bei der Erinnerung an die zivilen Opfer von Luftangriffen muss deshalb zu Beginn an die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica im April 1937 durch deutsche und italienische Kampfflugzeuge während des Spanischen Bürgerkrieges erinnert werden. Zum ersten Mal fand hier ein Luftangriff statt, der die Zivilbevölkerung auslöschen sollte und die Epoche des industrialisierten Massenmordes einleitete. Diese „Operation“ war ein Kriegsverbrechen, was auch im persönlichen Kriegstagebuch des Chefs des Stabes und nachmaligen Kommandeurs der „Legion Condor“ Generalfeldmarschall Wolfram Freiherr von Richthofen deutlich zum Ausdruck kommt. So heißt es am 30. April 1937: „Guernica […] buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht“[2].
 
In der Folge müssen die deutschen Luftangriffe zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und auch danach – unter anderem in Polen, England und Jugoslawien – thematisiert werden. Diese brachten der Zivilbevölkerung großes Leid und hatten große Zerstörungen zur Folge. In Warschau verloren tausende Zivilisten ihr Leben[3], die englische Stadt Coventry wurde in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1940 nahezu vollständig zerstört[4] und auch Belgrad erlebte am 6. April 1941 ein schweres Bombardement aus der Luft[5], bei dem Schätzungen zufolge einige tausend Menschen ums Leben kamen.
 
Die chronologische Abfolge dieser Ereignisse ist sehr wichtig, um die Zusammenhänge richtig zu verstehen und die britischen und US-Luftangriffe auf deutsche Städte – vor allem ab 1943 (auch in Aschaffenburg) – mit dem daraus resultierenden Leid für die deutsche (und Aschaffenburger) Zivilbevölkerung einordnen zu können. Die im Antrag angesprochenen Vergleiche (Nagasaki, Vietnam, Irak) tragen deshalb nicht zu einer angemessenen Erinnerungskultur bei, da zu unterschiedliche Kontexte und Zeiten miteinander verwoben werden und in gewisser Hinsicht eine Solidarisierung mit anderen Opfergruppen sowie eine geografische „Verbreiterung“ der Thematik genutzt wird, um die dezidierte Kontextualisierung in der Zeit des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges gewissermaßen zu verschleiern. So können die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki nicht mit (anderen) Luftangriffen in Zusammenhang gebracht werden; das Ausmaß der Katastrophe übersteigt hier jede Vorstellung und ist (bislang) ein singuläres Ereignis der Menschheitsgeschichte. Die US-Luftangriffe auf Vietnam (u.a. mit Napalm) und die Operationen der „Koalition der Willigen“ im Irak wiederum fanden bekannterweise nicht im Kontext des Zweiten Weltkrieges statt. 
 
„Den Bogen zu spannen“, wie es im Antrag heißt, erweist sich daher hier als kontraproduktiv. Durch eine willkürliche Auswahl von Schauplätzen und Zeiten, unter dem Stichwort „verheerend“ zusammengefasst, entstehen falsche Rückschlüsse und Eindrücke. So erscheinen Großbritannien und vor allem die USA implizit als diachronische “Tätervölker”; bezeichnenderweise werden im Antrag die Angriffe der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg ausgeklammert; gleiches gilt – wenn man den Bogen spannen möchte – für die aktuellen russischen Bombenangriffe gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Dass ausgerechnet die zivilen Opfer – Frauen, Männer und Kinder – der militärischen Aggression des autoritären Putin-Regimes, die vor den Augen der Weltöffentlichkeit stattfindet, unerwähnt bleiben, zeigt, dass eine Erinnerungskultur nur dann gelingen kann, wenn sie nicht parteipolitischen Interessen untergeordnet ist und in Einklang mit den Forschungsergebnissen der seriösen Geschichtswissenschaft steht.


[1] Dietmar Süß, Nationalsozialismus. Erinnerung an den Luftkrieg in Deutschland und Großbritannien, URL: https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/dossier-nationalsozialismus/39584/erinnerungen-an-den-luftkrieg-in-deutschland-und-grossbritannien/ [abgerufen am 24.05.2023].
[2] Bundesarchiv, Der Angriff auf Guernica, URL: https://weimar.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/Der-Angriff-Auf-Guernica/der-angriff-auf-guernica.html [abgerufen am 23.05.2023].
[3] An einem einzigen Tag – 16. September 1939 – warfen 820 deutsche Flugzeuge insgesamt 328.000 Kilogramm Bomben auf die polnische Bevölkerung ab. Vgl. Richard J. Evans, Das Dritte Reich. Krieg, Bd. 3, München 2010, S. 19. Warschau wurde durch Artilleriebeschuss und Luftbombardement weitgehend zerstört. Vgl. Peter Longerich, Hitler. Biografie, München 2015, S. 685.
[4] Während der “Luftschlacht um England” kamen bis Juni 1941 43.000 Zivilisten ums Leben, darunter auch 600 Einwohner von Coventry. Vgl. Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914-1945, München 2011, S. 929. 
[5] Vgl. Winkler, Geschichte des Westens, S. 936. Evans, Das Dritte Reich, S. 199.

.Beschluss:

I. 
  1. Der Antrag von Herrn Stadtrat Falko Keller (AfD) vom 12.05.2023 wird zur Kenntnis genommen.
  2. Dem Antrag wird in dieser Form nicht entsprochen.

II. Angaben zur Klimawirkung:
Bewertung - jeweils Mehrung oder Minderung der Treibhausgase (THG)
wenig klimarelevant
teilweise klimarelevant
sehr klimarelevant
[ x ]  keine weiteren Angaben erforderlich
[  ]  kurze Erläuterung in den Begründungen
[  ]  ausführliche Erläuterung 
in den Begründungen 
Bewertungsschema nach KÖP (Klimaschutzmanagement in öffentlichen Projekten)
(Nationale Klimaschutz-Initiative  -  Klimabündnis / ifeu-Heidelberg / BMU)

III. Angaben zu den Kosten:
Durch den Vollzug dieses Beschlusses entstehen Kosten:
ja [  ]
nein [ x ]

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 14, Dagegen: 1

Datenstand vom 21.09.2023 15:16 Uhr