Museen: Anfrage zur Gründung einer Stiftung (Die Sammlung verfemter Kunst. Dr. Gerhard Schneider); - finanzielle Beteiligung der Stadt Aschaffenburg


Daten angezeigt aus Sitzung:  17. Sitzung des Stadtrates (Plenum), 17.12.2012

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Stadtrat (Plenum) 17. Sitzung des Stadtrates (Plenum) 17.12.2012 ö Beschließend 5pl/17/5/12

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

A. Zum Sachstand:
Anlässlich seines Besuchs in Aschaffenburg am 13.03.2012 stellte Herr Dr. Gerhard Schneider, Olpe, gegenüber Vertretern von Verwaltung und Museen eine Projektidee zur „Errichtung einer Stiftung in Kooperation mit der der Stadt Aschaffenburg“ vor. Kern eines „Museums zum 20. Jahrhundert“ in Aschaffenburg sollte demnach Herrn Dr. Schneiders Sammlung von Kunstwerken (Malerei, Graphik, Archivalien) bilden, die nach seiner Schätzung ca. 2.000 bis 2.500 Werke deutscher Künstler zwischen etwa 1900 und ca. 1940 umfasst. Es handelt sich dabei in der Regel um verfemte Künstlerinnen und Künstler, deren Werk während des NS-Regimes in die Vergessenheit gedrängt wurde. Zentrales Stiftungsziel sei die Erforschung und Würdigung dieser Künstler.

Herr Dr. Schneider bezifferte den Wert seiner Sammlung auf ungefähr 4-5 Mio. Euro. Kunstwerke im Wert von ca. 2-3 Mio. Euro würde das Ehepaar Schneider als persönliches Vermögen in die neu zu gründende Stiftung einbringen. Herr Dr. Schneider wünscht die Gründung einer rechtlich selbständigen Stiftung. Träger dieser neuen Stiftung wären das Ehepaar Schneider und die Stadt Aschaffenburg. Den Anteil der Stadt Aschaffenburg bzifferte Herr Dr. Schneider durch eine Einmalzahlung i. H. v. € 500.000 an das Ehepaar Schneider und durch die Summe von € 2.000.000 in Form einer monatlichen Vergütung. Die Höhe derselben und die davon abhängige Befristung wären noch festzulegen (denkbar: € 7.500 / Monat). Diese Vergütung wäre unter Berücksichtigung eines Inflationsausgleichs auszuzahlen an das Ehepaar Schneider bzw. an deren Erben.

Weitere Leistungen der Stadt Aschaffenburg:
1.        Ein Anteil von ca. 500qm Dauerausstellungsfläche im zukünftigen „Museumsquartier“ (Gesamtfläche 1. BA ca. 650 qm)
2.        Die regelmäßige Planung und Umsetzung von Sonderausstellungen aus Beständen der Sammlung
3.        Herr Dr. Schneider bot an, als Kurator („spiritus rector“) im Auftrag der Stiftung tätig werden
4.        Ein Erwerbungsetat i. H. v. ca. € 20.000 / Jahr aus dem Haushalt der Stadt, um Erwerbungen durch Herrn Dr. Schneider für die Stiftung zu ermöglichen. Herr Dr. Schneider möchte über diesen Etat möglichst frei verfügen können.
5.        Prüfung der Stiftungsidee und Bekanntgabe der Haltung bzw. Entscheidung des Stadtrats bis spätestens Ende 2012.



B. Bisherige Verfahrensschritte:
Im Rahmen der Ausstellungsvorbereitung "Moderne am Pranger" konnte die Museumsleitung am 14.02.2012 einen ersten Überblick über die Sammlung im Haus Herrn Dr. Schneiders gewinnen.

Anlässlich seines Besuchs in Aschaffenburg am 13.03.2012 stellte Herr Dr. Schneider gegenüber Herrn Oberbürgermeister Herzog, Vertretern von Verwaltung und Museen seine Projektidee zur „Errichtung einer Stiftung in Kooperation mit der der Stadt Aschaffenburg“ vor.

Ref. 2 prüfte in Rücksprache mit der Regierung von Unterfranken (25.05.2012) die eventuellen kommunalrechtlichen Vorgaben. Die Regierung hält ein Engagement der Stadt im Rahmen der Stiftung grundsätzlich für möglich, sofern durch Gutachten nachgewiesen wird, dass der Wert der Bilder den Leistungen der Stadt entspricht.

Am 17.09.2012 wurde das Plenum in nichtöffentlicher Sitzung über alle bisherigen Schritte und über die Inhalte in Bezug auf das Angebot Herrn Dr. Schneiders informiert. Die Gelegenheit für Rückfragen und für eine erste Aussprache wurde genutzt.

Am 11.10.2012 fand in der Ausstellung "Moderne am Pranger. Die NS-Aktion "Entartete Kunst" vor 75 Jahren. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider" in der Kunsthalle Jesuitenkirche eine Führung für interessierte Stadträte durch Herrn Dr. Schneider in Anwesenheit von Frau Dr. Ladleif und Herrn Dr. Richter statt.

Am 12.11.2012 wurden die Vorsitzenden aller Fraktionen sowie die Sprecher aller im Kultursenat vertretenen Parteien und Gruppierungen durch den Oberbürgermeister informiert und Gelegenheit für die Klärung offener Fragen geboten. Im Anschluss wurde das Angebot auf Basis aller zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen in den einzelnen Stadtratsfraktionen diskutiert.

Am 3.12.2012 stellte Herr Dr. Schneider auf Einladung des Oberbürgermeisters persönlich im nichtöffentlichen Teil der Plenumssitzung seine Motivation und die Einzelheiten seiner Idee dem Stadtrat vor. Das Manuskript seiner Rede wurde von der Verwaltung allen Mitgliedern des Stadtrats am 4.12.2012 in Papierform zugestellt.


C. Begründung der Verwaltungsempfehlung:
Die Sammlung Dr. Gerhard Schneider, Olpe, stellt eine herausragende Würdigung der unter dem NS-Regime verfemten Künstlerinnen und Künstler dar. Das Angebot Herrn Dr. Schneiders wurde eingehend geprüft. Den Mitgliedern des Stadtrats wurden alle verfügbaren Informationen zur Diskussion in den Fraktionen und in weiterer Folge als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gestellt.

Sowohl nach inhaltlichen Erwägungen, wie auch vor dem Hintergrund der Vorstellungen Herrn Dr. Schneiders in Bezug auf die finanzielle und betriebliche Ausgestaltung einer Stiftung ist das Angebot des Sammlers entgegenkommend und überzeugend. Es darf als Auszeichnung für den Museumsstandort Aschaffenburg gewertet werden, dass Herr Dr. Schneider hier den geeigneten Ort für den Fortbestand seines beeindruckenden Lebenswerks sieht.

Gegen eine Weiterverfolgung der Stiftungsidee in Aschaffenburg sprechen jedoch zum einen die im Stadtrat bereits beschlossenen Zielsetzungen in der kommunalen Museumsentwicklung und zum anderen die Situation im Hinblick auf die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen:

Die Museumsstrategie in Aschaffenburg basiert auf den Empfehlungen des Museumsentwick­lungsplans, der 2003 erstellt wurde. Der Stadtrat billigte am 22.11.2010 einstimmig die seit 2007 geplante Nachfolgenutzung des ehemaligen Jesuitenkollegiums an der Pfaffengasse für museale Zwecke. Am 21.05.2012 wurden die Planungsleistungen zur Umsetzung des 1. Bauabschnitts genehmigt. Das Konzept sieht in langfristiger Perspektive die Errichtung des „Aschaffenburger Museumsquartiers“ mit mehreren Nutzungskomponenten vor. Bauabschnitt 1 (bis 2014) umfasst das neue „Christian-Schad-Museum“. Für die Dauerausstellung zu Leben und Werk Christian Schads stehen ca. 650 qm zur Verfügung. Die Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken fördert diesen Projektabschnitt durch einen finanziellen Zuschuss i. H. v. € 350.000. Weitere Drittmittelgeber haben bereits ihre mögliche Unterstützung für das Projekt "Christian-Schad-Museum" signalisiert.

Nach dem Tod ihres Mannes widmete sich Bettina Schad (1921-2002) mit großer Hingabe der Erschließung seines Werks. Den in ihrem Besitz befindlichen künstlerischen und privaten Nachlass überführte sie im Jahr 2000 in eine unselbstständige Stiftung in der Verwaltung der Stadt Aschaffenburg. Zweck der Christian-Schad-Stiftung ist die Förderung der Forschung zum Werk des Künstlers, die wissenschaftliche und konservatorische Betreuung der Archivalien und des Kunstbesitzes sowie die Vervollständigung von Sammlungsgruppen durch Ankäufe mit dem Ziel einer angemessenen und dauerhaften öffentlichen Präsentation des Werks. Die Stiftung unterstützt Forschungsarbeiten und internationale Ausstellungsprojekte. Eine zentrale Aufgabe ist zudem die Herausgabe des Werkverzeichnisses Christian Schad, dessen Bände in deutscher und englischer Sprache von ausgewiesenen Experten erarbeitet werden. Stiftung und Museumssammlung in Aschaffenburg verfügen zusammen über mehr als 3.200 Werke Christian Schads, darunter 66 hochkarätige Gemälde, zum Teil aus den 1920er und 1930er Jahren.

Eine Zusammenführung dieses Bestandes mit der Sammlung Dr. Schneider ginge zu Lasten der als Stiftungsziel der Christian-Schad-Stiftung begründeten umfassenden öffentlichen Darstellung von Leben und Werk des Künstlers wie auch zu Lasten der wissenschaftlichen, zum Teil öffentlich geförderten Stiftungsarbeit. Durch Christian Schads über vier Jahrzehnte währendes, eng mit Aschaffenburg verbundenes Wirken, das er als Exponent der internationalen Avantgarde in den europäischen Zentren begann, ist das Thema seines Schaffens neben demjenigen des in Aschaffenburg geborenen Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner in hervorragender Weise dazu geeignet, der Stadt auf dem Feld der Kultur überregionale, ja internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung zu verleihen.
Herr Dr. Schneider beließ seit den ersten Gesprächen keinen Zweifel daran, dass er im Falle der Gründung einer Stiftung den aktiven Umgang mit dem Bestand seiner Sammlung in Form einer umfassenden Dauerausstellung im neuen "Museumsquartier", von wissenschaftlicher Bearbeitung, Zuerwerb, Ausstellungstätigkeit und der Erarbeitung wissenschaftlicher Publikationen als Stiftungszweck und -bedingung vorsieht.
Es steht außer Zweifel, dass Leistungen dieser Art notwendig und im allgemeinen Interesse wären. Sie erzeugten aufgrund der außerordentlichen Detailkenntnis Herrn Dr. Schneiders im Umfeld der Wissenschaft wie innerhalb der interessierten Öffentlichkeit großen Widerhall. Ein derartiger, der Sache wie auch dem Engagement Herrn Dr. Schneiders angemessener Gebrauch und Betrieb der Sammlung ist jedoch in Verbindung mit den oben umrissenen Aufgaben der Christian-Schad-Stiftung personell nicht darstellbar, in der Betriebstruktur der städtischen Museen nicht umzusetzen und im architektonisch-räumlichen Gefüge des zukünftigen "Christian-Schad-Museums" praktisch nicht zu integrieren.

Um die notwendige betriebliche Basis zu schaffen und so dem von Herrn Dr. Schneider vorausgesetzten Stiftungszweck gerecht zu werden, wäre demnach ein erheblicher finanzieller und personeller Aufwand zu leisten, dessen Voraussetzungen sich aufgrund der bereits vorgesehenen Investitionen im Schul- und Kultursektor mittelfristig nicht abzeichnen.

Die in bereits mehreren Einlassungen dargestellten finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang der Stiftungsgründung wären daher zwingend mit jährlichen Folgekosten zu verknüpfen. Diese betreffen im wesentlichen den Mehraufwand für einen/eine Wissenschaftler/in (Forschung, Sammlungspflege, Ausstellungskonzepte, überregionale Kontakte, Kooperationen; Reisekosten), für einen zusätzlichen Ausstellungsetat, für Buchprojekte / Kataloge der Stiftung, für Erwerbungen auf dem Kunstmarkt, für Werbung / Öffentlichkeitsarbeit, um die Stiftungsziele publik zu machen und Projekten eine breite öffentliche Wirkung zu ermöglichen; für die Anmietung einer qualifizierten Depotfläche, für den Sammlungsunterhalt bis hin zu Versicherungskosten je nach Status des Sammlungsgutes.

Fazit:
Vor dem Hintergrund der Beschlusslage des Stadtrats und den Förderzusagen für das zentrale Projekt "Christian-Schad-Museum", angesichts der großen finanziellen Herausforderungen im Schul- und Kultursektor und der Entwicklung kommunaler Aufgaben im Allgemeinen, sollte die Gründung der Stiftung trotz der angebotenen, überzeugenden Möglichkeiten unter strukturellem wie unter wirtschaftlichem Aspekt nicht weiterverfolgt werden.

.Beschluss:

Der Stadtrat beschließt nach eingehender Prüfung die Gründung einer Stiftung ("Die Sammlung verfemter Kunst. Dr. Gerhard Schneider") nicht weiter zu verfolgen.

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 40, Dagegen: 1

Datenstand vom 31.03.2015 16:52 Uhr