1. Anlass
Das 1999 erarbeitete Bewertungsmodell für die Stadt Aschaffenburg zur Ermittlung und Bilanzierung von Eingriffen in Natur und Landschaft (PAN Planungsbüro für angewandten Naturschutz GmbH, München) stellt die Grundlage für die Bewertung von Eingriffen in Natur und Landschaft und notwendige Ausgleichsmaßnahmen („Eingriffsregelung“) dar. Das Modell wurde dem Stadtrat in der Sitzung des Planungs- und Verkehrssenates am 07.12.1999 vorgestellt. Dieses Bewertungsverfahren ist laut Dienstanweisung vom 17.05.2000 für die Verwaltung bindend.
Seitdem wird es bei allen Eingriffen, sowohl bei Baugebietsausweisungen als auch bei Außenbereichsvorhaben und sonstigen Eingriffen wie Rad- und Fußwege, genehmigungsfreie Vorhaben z. B. Baumaßnahmen im Landschaftsschutzgebiet, angewendet.
Aufgrund einer Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2010 muss bei Ausgleichsmaßnahmen verstärkt auf agrarstrukturelle Belange, d. h. auf die Interessen der Landwirtschaft Rücksicht genommen werden. Hintergrund hierfür war die oftmalige Doppelbelastung der Landwirtschaft: Zum Einen ging landwirtschaftliche Fläche verloren aufgrund des direkten Eingriffes, zum Anderen wird für den benötigten naturschutzfachlichen Ausgleich ebenfalls landwirtschaftliche Fläche benötigt. Ein geeignetes Instrument diese Doppelbelastung zu verringern sind sog. produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen (kurz PIK-Maßnahmen).
Zu den PIK-Maßnahmen zählen ökologische Aufwertungsmaßnahmen im Bereich von Ackerflächen, Wiesen (Grünland) und Waldflächen. Dabei kann die Aufwertung speziellen faunistischen Artengruppen zu gute kommen oder mit einer floristischen Aufwertung verbunden sein. Der Schwerpunkt lag hier bislang auf der Optimierung der Biotopqualität bzw. auf der Wiederherstellung und/oder Entwicklung hochwertiger Biotope. Ein weiterer Aspekt, der zukünftig zu berücksichtigen sein wird, sind vorgeschlagene Maßnahmen, die einer Verbesserung des Biotopverbundes dienen.
Eine Aufwertung von Produktionsflächen verfolgt das Ziel, dass sie weiterhin in einer landwirtschaftlichen (und forstwirtschaftlichen) Nutzung und Förderung bleiben. Dadurch entstehen den Bewirtschaftern hinsichtlich der Betriebsprämien keine finanziellen Nachteile und gleichzeitig findet eine naturschutzfachliche Aufwertung statt. Insbesondere die Aufwertung der Habitatqualität von landwirtschaftlichen Nutzflächen ist bislang im Bewertungsmodell der Stadt Aschaffenburg nicht vorgesehen.
Um die Möglichkeit bei Baugebietsausweisungen und sonstigen Eingriffen verstärkt PIK-Maßnahmen zu nutzen, ist es erforderlich das bestehende Aschaffenburger Bewertungsmodell zu überarbeiten. Auch der Erlass der Bayerischen Kompensationsverordnung (BayKompVO) (Stand 07.08.2013) erfordert eine Aktualisierung des bestehenden Modells.
Konkreter Anlass war das Bebauungsplanverfahren Nilkheim „Anwandeweg“ (Nr. 7/6) mit einer Flächengröße von 26 ha. Der damit verbundene Ausgleichsbedarf übersteigt das noch vorhandene Guthaben im städtischen Ökokontogebiet „Neurod“. Durch die Erweiterung des Bewertungsmodells wird jetzt die Möglichkeit geschaffen, wie gesetzlich gefordert, bei Ausgleichsmaßnahmen verstärkt die agrarstrukturellen Belange zu berücksichtigen.
Die Stadt entschloss sich daher, im Bereich der Eigentumsflächen in Damm ein neues Ökokonto „Rosenberg“ zu schaffen.
Das Amt für Umwelt- und Verbraucherschutz vergab für die Aktualisierung des Bewertungsmodells am 23.10.2013 einen Auftrag an das Büro PAN Planungsbüro für angewandten Naturschutz GmbH, München.
Bei der Erarbeitung der Methodik und konkreter Maßnahmen fand ein enger Abstimmungsprozess mit dem Amt für Ernährung Landwirtschaft und Forsten Karlstadt, Abt. Landwirtschaft, dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (StMUG) bzgl. der BayKompVO, dem Büro Fabion (Würzburg) bzgl. Landschaftsstrukturplanung für das geplante Ökokontogebiet „Rosenberg“ sowie den betroffenen städtischen Ämtern (Stadtplanungsamt, Stadtkämmerei – Sachgebiet Liegenschaften, städtischen Forstamt und Amt für Umwelt- und Verbraucherschutz) statt.
2. Methodik und Beispiele für PIK-Maßnahmen
Die Liste der Biotop- und Nutzungstypen wurde in Bezug auf Äcker, Grünland und Waldflächen erweitert. Dies ermöglicht eine größere Flexibilität hinsichtlich der Ermittlung von Aufwertungspunkten. Um eine Aufwertung der Flächen anerkennen zu können, müssen allerdings Mindestanforderungen zur Pflege bzw. Bewirtschaftung erfüllt werden.
Grundlagen für die Aktualisierung bilden dabei die jeweiligen Entwürfe der Bundeskompensationsverordnung (BKompV) und der Bayerischen Kompensations-verordnung (BayKompVO) sowie ein noch unveröffentlichtes Ergebnis eines F+E-Projektes („Einsatzmöglichkeiten und Grenzen von Kompensationsmaßnahmen zur Umsetzung von Konzepten des Naturschutzes und der Landschaftsentwicklung“ (GODT ET AL 2013)).
Beispiele:
PIK-Maßnahmen auf Ackerflächen
? Ackerbrache (Selbstbegrünung, keine Düngung, keine Pflanzenschutzmittel, keine Nutzung, Höchstdauer der Belassung ohne Umbruch 3 Jahre, Pflegeintervall 2 bis 3 Jahre)
? Anlage von Ackerrandstreifen (keine bzw. reduzierte Düngung, keine Pflanzenschutzmittel, erweiterter Saatreihenabstand bzw. reduzierte Saatgutmenge)
? Anlage von rotierenden Blühstreifen (Mindestbreite von 9 m, Ansaat mit möglichst heimischem Saatgut, keine Düngung, keine Pflanzenschutzmittel)
? Feldlerchenfenster
? Anlage von Kleegras- und Luzernestreifen zur Förderung von Rotmilan, Feldhase u. a. Arten der Feldflur
Ziel: Förderung von Ackerwildkräutern und/oder einer typischen Fauna der Feldflur (Feldlerche, Rebhuhn, Feldhase)
Die Aufwertbarkeit ist u. a. abhängig von der Bodenzahl (bis 50 oder über 50), d. h. von der Ertragsfähigkeit des Bodens. Bei einem sehr ertragreichen, „fetten“ Boden (z. B. 65) ist die Aufwertbarkeit geringer, da weniger seltene Pflanzenarten zu erwarten sind.
PIK-Maßnahmen auf Grünland (Wiesen und Weiden)
? Extensivierung von Grünland (Festlegung von Schnittzeitpunkten, geringere Schnitthäufigkeit sowie Verzicht auf Düngung und Pflanzenschutzmittel, Erhöhung der Anzahl der Kräuter z. B. durch Ansaat von standortspezifischem Saatgut)
? bei Neuanlage von Grünland, vorher mindestens 5 Jahre Acker
Ziel: Erhöhung der Artenvielfalt (Wildkräuter, Insekten, Vögel etc.)
Eine Höherwertigkeit kann nur anerkannt werden, wenn die Maßnahmen über die „gute fachliche Praxis“ hinausgehen. Bei der Planung von PIK-Maßnahmen auf landwirtschaftlichen Flächen ist daher frühzeitig das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einzubinden.
PIK-Maßnahmen in Waldflächen
? Entnahme standortfremder, nicht der natürlichen Waldgesellschaft angehörender Baumarten
? Belassen von stehendem und/oder liegendem Totholz mit einem Anteil von 40 fm/ha (in Wäldern > 140 Jahre, Mindestlänge > 3 m)
? Belassen von Biotop- und Höhlenbäumen
? Herstellung von Waldwiesen
? Entwicklung von Waldrändern
? Wiederherstellung von historischen Waldnutzungsformen (Mittel- oder Niederwald)
Ziel: Erhöhung der Artenvielfalt (typische Waldbewohner wie Fledermäuse, Spechte und totholzbewohnende Arten z. B. Hirschkäfer)
Bei den PIK-Maßnahmen ist darauf zu achten, dass die Aufwertungsmaßnahmen über bereits bestehende Verpflichtungen (z. B. die Forstbewirtschaftungspläne) hinausgehen. Daher sind Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Wald in enger Abstimmung mit der zuständigen unteren Forstbehörde festzulegen.
3. Durchführungskontrollen und Monitoring
Voraussetzung für die Anerkennung von PIK-Maßnahmen ist ein Nachweis über die Wirksamkeit. Daher muss ein regelmäßiges Monitoring (Überwachung, Kontrollen) durchgeführt und dokumentiert werden.
4. Anwendung des überarbeiteten Bewertungsmodells
Das überarbeitete Bewertungsverfahren wird erstmals bei der Strukturplanung zur Schaffung eines Ökokontogebietes „Rosenberg“ und eventuell bei der Aufwertung von Grünlandflächen im Bereich der Nilkheimer Mainwiesen angewendet.
Der Planungs- und Verkehrssenat nimmt den Bericht über die Aktualisierung des Bewertungsmodells für die Stadt Aschaffenburg zur Ermittlung und Bilanzierung von Eingriffen in Natur und Landschaft („Aschaffenburger Bewertungsmodell“) zur Kenntnis. Das aktualisierte Bewertungsmodell wird in die Dienstanweisung aufgenommen.