Verpachtung des Krematoriums der Stadt Aschaffenburg


Daten angezeigt aus Sitzung:  9. Sitzung des Stadtrates (Plenum), 02.06.2014

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Stadtrat (Plenum) 9. Sitzung des Stadtrates (Plenum) 02.06.2014 ö Beschließend 12pl/9/12/14

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

A.        Ausgangssituation

1.        Technisch

a) Aktueller Zustand

Die Stadt Aschaffenburg betreibt im Waldfriedhof ein Krematorium, welches 1996 letztmalig saniert wurde. Die Anlage hat aufgrund der Betriebszeit von 17 Jahren, dem Verschleißgrad der Ofenausmauerung und der technischen Anlagenkomponenten die maximal zu erwartende „Lebensdauer“ bereits überschritten.

Für den Kremationsofen werden im Regelfall 10 Jahre Lebenszeit angesetzt. Bei der Regelungstechnik wird ebenfalls mit einer Lebenserwartung von ca. 10 Jahren gerechnet.
In den letzten Jahren stiegen der Reparaturaufwand und die Kosten für den Ofen und die dazugehörige Regelungstechnik stark an.

Es ist damit zu rechnen, dass das Krematorium in absehbarer Zeit nicht mehr betrieben werden kann, weil:
?        Emissionswerte nicht mehr eingehalten werden können.
?        Ein technischer Schaden auftritt, der sich unter dem Ansatz der Wirtschaftlichkeit nicht 
           mehr reparieren lässt.

Die eingebaute Regelungstechnik für die zum Betreiben des Krematoriums notwendigen
Hilfsanlagen (z. B. Lüftungsanlage „Ofenraum“, Pufferspeicher, Notkühlaggregat) funktioniert nicht zuverlässig und teilweise gar nicht mehr. Ersatzteile sind nicht oder nur sehr schwer
aufzutreiben. Als Folge erhöhen sich die Stillstandzeiten, die Primärenergieausnutzung ist schlecht und die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte werden immer wieder überschritten.
Der Kühlraum „Keller“, der zur Zeit nicht genutzt wird, hat  nur eine unzureichende Dämmung, das dazugehörige Kälteaggregat läuft unwirtschaftlich und muss wegen des verwendeten Kältemittels demnächst stillgelegt werden.
Als Brennstoff für den Kremationsofen dient im Augenblick Heizöl. Der zur Lagerung verwendete Erdtank hat einen undichten Domschacht, der nur mit relativ viel Aufwand repariert werden kann. Weiterhin entsprechen die installierten Ölleitungen nicht mehr dem heutigen Sicherheitsstandard und müssten umgebaut werden.

b) Voraussichtliche Sanierungskosten

Im März 2012        wurde das Ing. Büro Hummrich & Feigel, Ilmenau, mit einer Machbarkeitsstudie zur Sanierung des Krematoriums beauftragt. Die Studie wurde im August 2012 vorgelegt. Nach der Machbarkeitsstudie ist die Anlage komplett zu erneuern. Die Investitionskosten werden auf 1,1 Mil. € brutto  geschätzt.        Als reine Umbauzeit sind 4 Monate anzusetzen.

2.        Finanziell

Mit den durchschnittlich 850 Einäscherungen der letzten Jahre konnte das Krematorium in Aschaffenburg nicht kostendeckend betrieben werden.

Die Unterdeckung betrug bezogen auf die Jahre 2010 – 2012 im Mittel 87.000,- Euro (Anlage 1).

Derzeit kostet eine Einäscherung im Krematorium Aschaffenburg 390,32 €. Die Gebühr wird den Hinterbliebenen in Rechnung gestellt. Der Preis liegt in der Region Rhein/Main im mittleren Preissegment, teilweise wird für die Verbrennung bis zu 50,- € mehr berechnet.

Für den Fall der Sanierung (Investitionssumme 1,1 Mil. €) und den Weiterbetrieb der Anlage als kommunales Krematorium wurde seitens der Stadtkämmerei eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aufgestellt (Anlage 2).
Unter der Annahme, dass die Einäscherungszahlen weiterhin bei 850 Kremationen pro Jahr konstant blieben und Zahngold nicht verwertet wird, beträgt das zu erwartende jährliche Defizit nach der Sanierung ca. 190.000,- €.

Können die Einäscherungen auf 1.250 Kremationen gesteigert werden (Erhöhung um 50%), verbleibt ein Defizit von ca. 68.000,- €. Die Gewinnschwelle, d. h. der kostendeckende Betrieb, wäre bei 1.512 Kremationen jährlich erreicht (Erhöhung um 77%).

B.        Marktsituation

1.        Istzustand

Im Krematorium Aschaffenburg werden derzeit im Schnitt ca. 850 Verstorbene jährlich eingeäschert (Anlage 3). Die Hälfte der Verstorbenen sind  Aschaffenburger Bürger, die anderen haben ihren Wohnsitz überwiegend im Landkreis Aschaffenburg und werden dort auch beigesetzt.

Bis zum Jahr 2003 stiegen die Einäscherungszahlen im Aschaffenburger Krematorium stetig an. Der Betrieb des Krematoriums erfolgte kostendeckend. Mit Eröffnung des privaten Krematoriums in Obertshausen (Entfernung ca. 35 km) sank die Anzahl der Verbrennungen.
In erster Linie die Bestattungsinstitute aus dem Landkreis fahren seitdem nicht mehr das Aschaffenburger Krematorium, sondern den privaten Betrieb an.

Als Gründe werden folgende Punkte genannt:

?        modernes Gebäude mit Aufenthaltsräumen für die Bestatter (Kaffe, Mittagsimbiss)
?        besserer Service (während der Anlieferung hilft das Personal beim Entladen, Erstellung der        Einäscherungspapiere vor Ort)
?        schnellere Bearbeitung (Einäscherung innerhalb von 6 Stunden möglich)
?        Angehörige können beim Einäscherungsprozess dabei sein

Eine nicht unerhebliche Rolle scheinen auch Rückerstattungssysteme zu spielen. Diese wurden in der Presse mehrfach beschrieben. Demzufolge besteht für die Bestattungsinstitute die Möglichkeit, mit den privaten Krematorien Verträge abzuschließen, die ihnen finanzielle Vergünstigungen erbringen (Anlage 4).

Auch andere kommunale Krematorien sind diesen Marktbedingungen ausgesetzt und haben sich aus dem Markt zurückgezogen. Zuletzt waren dies Frankfurt und Wiesbaden
(Anlage 5).

2.        Marktanalyse

Im November 2012 wurde das Büros Jürgen Wolf Kommunikation GmbH, Mühltal, mit der Entwicklung einer Marketingstrategie für das Krematorium Aschaffenburg beauftragt. Im Dezember 2012 wurde das Ergebnis vorgestellt. Um einen wirtschaftlichen Betrieb des Krematoriums zu ermöglichen, muss
?        in die Sanierung investiert werden
?        das Geschäftsmodell überdacht werden (Kommunal, Eigenbetrieb, Privatisierung)
?        die Einäscherungszahl annähernd verdoppelt werden
?        das Krematorium sich von der Konkurrenz deutlich unterscheiden (in Schnelligkeit, in        Qualität oder im Angebot von zusätzlichen Dienstleistungen)
?        in Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Akquisition investiert werden (Die Bestatter aus den        Landkreisen sind zurückzugewinnen.)
?        auf den Wettbewerb flexibel reagiert werden können (Preisanpassung an die        Marktsituation, Erweiterung des Dienstleistungsangebotes, z. B. Anschaffung eines        Leichenwagens)

Die Umsetzung dieser Marktanalyse ist mit Zusatzinvestitionen und erheblichen Unwägbarkeiten verbunden.

C.         „Friedberger Modell“

Auf der Suche nach Alternativen ist die Stadt auf das Betreibermodell der Stadt Friedberg gestoßen. Im Februar 2013 fand ein Gespräch mit Vertretern der Stadtverwaltung Friedberg statt. Danach stellt sich die Situation in Friedberg wie folgt dar:

Auch die Stadt Friedberg stand im Jahr 2008 vor der Alternative, das bestehende Krematorium mit hohen Investitionen zu sanieren oder zu schließen. Man hat sich dort  erfolgreich dafür entschieden, sich einen privaten Betreiber für das Krematorium zu suchen.

Die Verpachtung wurde europaweit ausgeschrieben. Der Pächter zahlt hat das Krematorium saniert und zahlt eine Grund- und eine Umsatzpacht an die Stadt. Für die Bürger sind die Einäscherungskosten seitdem lediglich geringfügig gestiegen. Die Bürger sind zufrieden. Die Abwicklung erfolgt reibungslos.

Die Verwaltung hat das Modell daraufhin weiter entwickelt.

1.        Europaweite Ausschreibung

In einem ersten Schritt wurde mit der Kanzlei Heussen, die das Friedberger Modell begleitet hat, die Frage der europaweiten Ausschreibung geklärt.

Der Betreiber- und Pachtvertrag ist rechtlich gesehen eine Dienstleistungskonzession. Dienstleistungskonzessionen unterfallen nicht den Vergabevorschriften. Dennoch muss die beabsichtigte Verpachtung EU-weit öffentlich bekannt gemacht werden, damit die Grundsätze des EU-Rechts beachtet werden. Dies könnte in einem weitgehend formfreien sog. Interessenbekundungsverfahren geschehen. Ein Interessenbekundungsverfahren dient dabei lediglich als Mittel zur Bekanntmachung. Grundsätzlich ist es nur eine unverbindliche Markterkundung, über die u.a. eruiert wird, ob es Interessenten gibt und wie deren Preisvorstellungen aussehen.

Daher ist die Stadt Aschaffenburg sogar nach Durchführung des Interessenbekundungsverfahrens noch in der Entscheidung frei, ob mit einem der Interessenten tatsächlich ein Betreiber- und Pachtvertrag abgeschlossen wird.

2.        Vertragsinhalt

Auf der Basis eines Mustervertrages der Kanzlei Heussen, wurde durch Rechtsstelle, Amt für Hochbau- und Gebäudewirtschaft und Garten- und Friedhofsamt eine Vertragskonzeption entwickelt, die den lokalen Gegebenheiten und Interessenslagen entspricht.

Er enthält folgende Eckpunkte:
1.        Gebäude bleibt im Eigentum der Stadt Aschaffenburg
2.        Pflicht zur Sanierung des Krematoriums durch den Pächter
3.        Kosten der Sanierung und des Betriebs trägt der Pächter
4.        Sicherstellung der Grundentscheidungen der Stadt hinsichtlich des Betriebs (z.B. Verbot,        Zahngold zu verwerten; Verbot, Tiere einzuäschern)
5.        Vereinbarung einer Betriebspflicht
6.        Pachtzinszahlung ab Aufnahme des Betriebs, spätestens jedoch 6 Monate nach        Unterzeichnung
7.        Pachtzinshöhe ergibt sich aus abzugebendem Angebot
8.        Pachtdauer beträgt 10 Jahre (Verlängerung um zweimal drei Jahre möglich, d.h. die        Pachtdauer beträgt längstens 16 Jahre)
9.        Kündigungsmöglichkeit (nach 10 Jahren oder jederzeit bei Verstoß gegen Pflichten aus        Vertrag)
10.        Einbauten sind nach Pachtende vom Pächter zu entfernen oder aber von der Stadt gegen        Zahlung des Zeitwerts abzulösen

Die Beratung des gesamten Vertragsentwurfes erfolgt im nichtöffentlichen Teil der Sitzung.

3.        Eigeninvestitionen zur Umsetzung des Pachtvertrages

Im Falle einer Verpachtung sind Umbaumaßnahmen notwendig. Das vorhandene Betriebsgebäude ist in eine Gebäudegruppe Waldfriedhof und in eine Gebäudegruppe Krematorium zu trennen.

Notwendig sind nach Schätzung des Amtes für Hochbau und Gebäudewirtschaft:
-        Anbau für Umkleide- und Sozialräume des Friedhofspersonals        120.000,- €
-        Umbauarbeiten im Gebäude (Türen, Trennwände, Änderungen        
von Raumnutzungen)          60.000,- €
-        Anpassung der Haustechnik an die Verpachtungssituation          13.500,- €
-        Anpassungsarbeiten im Betriebshof (Umbau des Carports,
       Parkplätze, Tor)          40.000,- €

Insgesamt wären voraussichtlich 233.500 € zu investieren.
(Im Übrigen sind unabhängig, ob Pachtvertrag oder Eigenbetrieb Stadt, 106.000 € im Zuge des Bauunterhalts für die Ertüchtigung der TGA, technische Gebäudeausrüstung, erforderlich.)

D.        Empfehlung der Verwaltung

Die Verwaltung empfiehlt die Verpachtung des Krematoriums aus folgenden Gründen:
?        Die Stadt spart die Investitionssumme von 1,1 Mil €, abzüglich der Eigeninvestitionen von        ca. 233.500 €, ergeben eine Einsparung von 866.500 €.
?        Für den kostendeckenden Betrieb ist eine Erhöhung der Einäscherungszahlen auf ca.        1.500 pro Jahr notwendig, die angesichts der Konkurrenzsituation nur schwer realisierbar        sein dürfte.
?        Um im Wettbewerb bestehen zu können, sind zusätzliche Mittel z. B. für Marketing und zur        Erweiterung des Dienstleistungsangebotes bereit zu stellen.
?        Eine Kommune als Betreiber kann die wohl marktüblichen Angebote an die Bestatter (z. B.        Rückerstattungssysteme) zur Kundenbindung nur bedingt umsetzen.
?        Auch nach der Sanierung stünde in Aschaffenburg nur ein Ofen zur Einäscherung zur        Verfügung. Die Anlage hat damit weiterhin Stillstandstage bei technischen Störungen,        dadurch bedingte Abwanderungen von Kunden können nicht ausgeschlossen werden.
?        Die Stadt ist nicht mehr für den Unterhalt und die Wartung der Anlage zuständig.
?        Das zu erwartende Defizit in Höhe von max. 190.000,- € jährlich entfällt.
?        Die Stadt erhält eine Pacht.
?        Eine wohnortsnahe Kremation ist weiterhin gegeben.


Anlagen


Anlage 1        Krematorium Aschaffenburg Einnahmen / Ausgaben

Anlage 2        Wirtschaftlichkeitsberechnung „Szenario 850“ / „Szenario 1250“

Anlage 3        Krematorium Aschaffenburg Einäscherungszahlen

Anlage 4        Presseartikel „Rückerstattungssysteme“ FAZ 23.01.2006

Anlage 5        Presseartikel Schließung des Frankfurter Krematorium FAZ 15.11.2013

Anlage 6        Verpachtung von Räumen EG Grundriss

.Beschluss:

1.        Der Bericht der Verwaltung zur Verpachtung des Krematoriums wird zur Kenntnis genommen.
2.        Die Verwaltung wird beauftragt, eine europaweite Ausschreibung der Verpachtung des Krematoriums durchzuführen.
3.        Über die Verpachtung des Krematoriums entscheidet der Stadtrat nach Vorlage des konkreten Ausschreibungsergebnisses.

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 33, Dagegen: 4

Datenstand vom 01.04.2015 08:38 Uhr