Neuregelung der Umsatzbesteuerung für juristische Personen des öffentlichen Rechts; Umsetzung des § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG) bei der Stadt Aschaffenburg


Daten angezeigt aus Sitzung:  13. Sitzung des Stadtrates (Plenum), 07.11.2016

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Stadtrat (Plenum) 13. Sitzung des Stadtrates (Plenum) 07.11.2016 ö Beschließend 3PL/13/3/16

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Mit dem Steueränderungsgesetz 2015 vom 02.11.2015 (BStBl. I 2015, S. 1834) wurde der § 2b UStG eingeführt. Er regelt die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand völlig neu und gilt grundsätzlich ab dem 01.01.2017 (§ 27 Abs. 22 Satz 1 UStG).
Optional kann das bisherige Recht jedoch bis zum 31.12.2020 angewendet werden. Dies muss dem Finanzamt nach § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG bis 31.12.2016 erklärt werden.

Bisher waren die juristischen Personen öffentlichen Rechts (jPöR) nur mit ihren Betrieben gewerblicher Art (BgA) im Sinn des § 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) sowie ihren land- und forstwirtschaftlichen Betrieben unternehmerisch tätig im Sinn des Umsatzsteuergesetzes (§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung).

Aus dem hoheitlichen Bereich und den vermögensverwaltenden Tätigkeiten, die nach Körperschaftsteuerrecht keine BgAen darstellen, ergaben sich somit keine unternehmerische Tätigkeiten und daher keine Umsatzbesteuerung.

Ebenso unterlagen auch die sogenannten „Beistandsleistungen“ oder die „Amtshilfe“ zwischen öffentlich rechtlichen Trägern weder der Körperschaftsteuer noch der Umsatzsteuer.

Diese Regelungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes mussten an die Rahmengesetzgebung der europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie (europäische Grundlage für die Umsatzsteuer in den Mitgliedsstaaten) und die darauf beruhende Rechtsprechung von EuGH und BFH angepasst werden.

Die Neuregelung führt zu einer massiven Ausweitung der Besteuerungstatbestände für die öffentliche Hand. Zahlreiche und wesentliche Besteuerungsprivilegien der öffentlichen Hand werden für die Umsatzsteuer aufgehoben.

So fallen künftig alle Leistungsentgelte/Einnahmen der Stadt Aschaffenburg auf privatrechtlicher Basis wie bei allen privaten Unternehmen auch ab dem ersten Euro unter den Anwendungsbereich des Umsatzsteuergesetzes.
Leistungsentgelte auf öffentlich rechtlicher Basis können danach ebenfalls in den Anwendungsbereich des Umsatzsteuergesetzes fallen, wenn vergleichbare Leistungen auch von Privaten angeboten werden können (z. B. Beglaubigungen, Parkgebühren etc.).

Im Gegenzug besteht künftig für steuerpflichtige Tätigkeiten auch ein (anteiliger) Vorsteuerabzug.

Um den nach der Übergangsfrist geltenden Anforderungen des Umsatzsteuerrechts gerecht zu werden, sowie einen möglichen finanziellen Schaden, z. B. in Form von Steuernachzahlungen ggf. mit Nebenleistungen zu vermeiden, muss die Stadt Aschaffenburg personell, organisatorisch und technisch auf die Umsetzung der Neuregelung der Umsatzbesteuerung für jPöR vorbereitet sein.
Dies erfordert die Durchführung einer umfassenden Bestandsaufnahme. Mittelfristig ist die Einrichtung einer zentralen Finanzbuchhaltungsstelle zu prüfen.

Die Umsetzung der Vorschrift des § 2b UStG macht es notwendig, alle Leistungen der Stadt Aschaffenburg auf eine mögliche Umsatzsteuerbarkeit und ggf. Umsatzsteuerpflicht hin zu bewerten.
Alle bestehenden und zukünftigen Verträge – auch Beistandsleistungen und Amtshilfe - müssen entsprechend auf mögliche steuerliche Folgen überprüft werden. Fallweise sind Steuerklauseln aufzunehmen oder Altverträge zu kündigen.

Zunächst ist jede einzelne Leistungsbeziehung der Stadt Aschaffenburg dahingehend zu untersuchen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Stadt Aschaffenburg als jPöR tätig wird. Dabei ist zunächst zwischen den Tätigkeiten auf privatrechtlicher und den Tätigkeiten auf öffentlich rechtlicher Grundlage zu unterscheiden.

Für die auf öffentlich rechtlicher Grundlage ausgeübten Tätigkeiten ist die Stadt Aschaffenburg auch künftig grundsätzlich nicht Unternehmerin. Würde aber eine Behandlung als Nichtunternehmerin zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen, so ist die Stadt Aschaffenburg auch bei diesen Tätigkeiten als Unternehmerin zu betrachten.
Wettbewerb ist nur gegeben, wenn vergleichbare Leistungen auch privatrechtlich angeboten werden können. Größere Wettbewerbsverzerrungen liegen insbesondere dann nicht vor, wenn die gesamten Jahreseinnahmen der Stadt Aschaffenburg aus gleichartigen Tätigkeiten 17.500 Euro nicht übersteigen oder wenn die vergleichbaren Leistungen einer Steuerbefreiung ohne die Möglichkeit auf diese zu verzichten unterliegen.

Die Grenze der Gesamtjahreseinnahmen bei gleichartigen Leistungen von 17.500 Euro wird in Aschaffenburg häufig überschritten sein, so dass sich hieraus keine Erleichterung ergibt. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass mit den Stadtwerken (Bäder, Verkehrsbetriebe, Stadtwerke, AVG, Bioenergie) und mit den Kongress- und Touristikbetrieben eine umsatzsteuerliche Organschaft besteht und somit auch deren Einnahmen in die Beurteilung einzubeziehen sind.

Bei allen Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage wird die Stadt Aschaffenburg in Zukunft immer unternehmerisch tätig sein. Die Leistungen sind umsatzsteuerlich zu erfassen und unterliegen der Umsatzbesteuerung - auch die vermögensverwaltende Tätigkeit.

Sodann ist zu prüfen ob eine Steuerbefreiung vorliegt bzw. welcher Steuersatz anzuwenden ist sowie die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe in diesen Bereichen ein Vorsteuerabzug in Betracht kommt.

Insbesondere im Bereich der Vermögensverwaltung werden viele umsatzsteuerbare Leistungen gemäß § 4 UStG umsatzsteuerfrei bleiben können.
Trotzdem müssen diese Leistungen künftig steuerlich erfasst und dem Finanzamt erklärt werden. Teilweise wird es in Einzelfällen zweckmäßig sein, auf die Steuerbefreiung zu verzichten, um einen Vorsteuerabzug zu ermöglichen.

Die Feststellung und die Zuordnung von abziehbaren Vorsteuern werden für die Stadtkämmerei ohne besondere Kenntnisse der betroffenen Dienststellen kaum zu bewerkstelligen sein.
Um eine optimale Zuordnung abziehbarer Vorsteuern und damit die Minimierung der Zahllast ans Finanzamt zu gewährleisten ist daher die Zweckmäßigkeit der Einführung einer zentralen Finanzbuchhaltung zu prüfen.
Es ist vorstellbar, dass in den Bereichen unterschiedliche „Vorsteuersätze“ zur Anwendung kommen, je nach Möglichkeit der Zuordnung zu einzelnen Leistungen. Diese Sätze sind zunächst erst einmal zu ermitteln.

Der Durchführung der vorgenannten Bestandsaufnahme muss eine Optimierung der Organisationsstruktur und von Prozessen hinsichtlich der Erfüllung von steuerlichen Pflichten vorangehen. Abschließend bedarf es ggf. einer Anpassung der Finanzsoftware OK.FIS, um die umfassenden Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG erfüllen zu können.
Es zeichnet sich schon jetzt eine erhebliche Mehrbelastung aller Dienststellen der Stadt Aschaffenburg und insbesondere der Stadtkämmerei ab.
Hier kommt es zu einer erheblichen Ausweitung der Aufgaben der Stadtkämmerei im Sachgebiet Steuern sowohl in der Phase der Umsetzung der Neuregelung als auch in der Zeit danach. Die erweiterten Steuertatbestände lassen auch einen erhöhten Beratungsbedarf für die Dienststellen bzgl. der zutreffenden steuerlichen Behandlung einzelner Sachverhalte erwarten, der zusätzlich zum täglichen Geschäft, der Erfüllung aller bisher bereits vorhandenen materiellen und formellen Steuerpflichten, hinzukommt. Daher müssen der Bearbeitungs- und der Stellenmehrbedarf organisatorisch untersucht werden.

Zusätzlich dürfte die Neuregelung der Umsatzbesteuerung für jPöR bei der Stadt Aschaffenburg zu Steuermehrbelastungen führen. Die Vorsteuerabzugspotenziale werden diese bei weitem nicht aufwiegen können.
Es ist zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich, ein detailliertes Zahlenmaterial zur abzuführenden Umsatzsteuer, zum möglichen Vorsteuerabzug oder zu den Kosten der Umsetzung des neuen Rechts zu beziffern.

Die Erklärung auf Beibehaltung der Altfallregelung bis zum 31.12.2020 ist aus Sicht der Stadtkämmerei damit derzeit alternativlos, weil

1.        die Neuregelung zu Mehrbelastungen führt, entweder
a.        für den Bürger (bei Weiterberechnung der Steuer) oder
b.        für die Stadt (bei fehlender Weiterberechnungsmöglichkeit),

2.        ein größeres Vorsteuerabzugspotenzial durch die sofortige Umsetzung nicht festgestellt werden kann,

3.        eine flächendeckende detaillierte Feststellung aller künftigen Besteuerungstatbestände in den Dienststellen (es bestehen rund 1.200 Einnahmen-Haushaltsstellen) und den Eigenbetrieben sowie

4.        die organisatorische und verwaltungstechnische Umsetzung der Datenerfassung (u. a. auch EDV) einen längeren Zeitbedarf erfordern und

5.        noch erhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Abgrenzung von Zweifelssachverhalten besteht und auch das diesbezüglich angekündigte klärende BMF-Schreiben noch nicht vorliegt (und voraussichtlich in 2016 nicht mehr zu erwarten ist).

Gegen die Abgabe der Erklärung würde allenfalls die mögliche Eröffnung von Vorsteuerabzugsmöglichkeiten aufgrund der erweiterten Steuerpflicht sprechen.
Größere Investitionsvorhaben sind aber dem hoheitlichen Bereich oder steuerfreien Endnutzungen zuzuordnen, so dass ein größeres Vorsteuerpotenzial daher nach derzeitiger Abschätzung nicht besteht.

Unabhängig davon kann die Erklärung widerrufen werden, wenn sich herausstellt, dass die Anwendung der neuen Rechtslage günstiger ist.

In seinem Rundschreiben Nr. 150/2016 vom 16. September 2016 beriet der Bayerische Städtetag die Kommunen zur Abgabe der Optionserklärung folgendermaßen:
„Im Hinblick auf den umfangreichen Prüf- und Umstellungsaufwand sowie unter dem Gesichtspunkt, dass durch eine Optionserklärung – aufgrund des möglichen Widerrufs – alle Möglichkeiten offen gehalten werden, kann eine solche nur empfohlen werden.“

In seiner Informationsveranstaltung zur Neuregelung der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand empfahl auch der Bayerische Kommunale Prüfungsverband die Fortführung der bisherigen Rechtslage, solange nicht feststeht, dass die neue Rechtslage Vorteile bietet.

Die Eigenbetriebe Stadtwerke und Kongress- und Touristikbetrieb tragen die Abgabe der Optionserklärung mit.

Die Erklärung nach Tenorziffer 1.1 ist bis zum 31.12.2016 abzugeben (§ 27 Abs. 22 S. 5 UStG).

.Beschluss:

1.        Die Verwaltung wird beauftragt,

1.1.        das Optionsrecht gemäß § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG in Anspruch zu nehmen und bis zum 31.12.2016 gegenüber dem Finanzamt folgende Erklärung abzugeben:

„Im Rahmen der Umsetzung der Neuregelung der Umsatzbesteuerung für juristische Personen des öffentlichen Rechts nutzt die Stadt Aschaffenburg das Optionsrecht gemäß § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG.

Danach erklärt die Stadt Aschaffenburg dem Finanzamt gegenüber einmalig, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31.12.2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31.12.2016 und vor dem 01.01.2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet. Eine Beschränkung der Erklärung auf einzelne Tätigkeitsbereiche oder Leistungen ist nicht zulässig (§ 27 Abs. 22 S. 4 UStG).“

1.2.        alle Leistungen der Stadt und ggf. die diesen zugrunde liegenden vertraglichen
Regelungen auf ihre künftige umsatzsteuerliche Relevanz zu überprüfen (Leistungs- und Vertragsprüfung),

2.        Bezüglich der Ziffer 1.2 ergeht ein gesondertes Rundschreiben an alle
Dienststellen, in dem sie aufgefordert werden, die erforderlichen Prüfungen in enger
Abstimmung mit der Stadtkämmerei vorzunehmen.

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 34, Dagegen: 0

Datenstand vom 12.12.2019 08:13 Uhr