Flechtenkartierung 2015/16 - Bericht


Daten angezeigt aus Sitzung:  10. Sitzung des Umwelt- und Verwaltungssenates, 10.11.2016

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Umwelt- und Verwaltungssenat 10. Sitzung des Umwelt- und Verwaltungssenates 10.11.2016 ö Beschließend 4uvs/10/4/16

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Technische Immissionsmessungen der Luft berücksichtigen meist nur wenige Leitstoffe. Mit Hilfe der Bioindikation mit Flechten kann die Wirkung der Gesamtheit der Schad­stoffe in Kombination mit den jeweiligen klimatischen Verhältnissen auf Organismen sichtbar gemacht werden.

In Aschaffenburg wurden bereits 1991, 1997, 2002 und 2009 Flechtenkartierungen
zur Erfassung der lufthygienischen Situation durchgeführt. Dabei wurde 2002 und 2009 ein besonderes Augenmerk auf den Wirkungsnachweis verkehrsbedingter Immissionen gelegt. Ebenso wurden die Flechtenkartierungen in Hinblick auf Kaltluftentstehungsgebiete und deren Abflüsse ausgewertet sowie die Veränderungen der Flechtenvegetation mittels Folienverfahren nach VDI 3957
dokumentiert.
Im Jahr 2015 wurde die Flechtenkartierung nach der Methode der VDI-Richtlinie 3957 durch das Büro Fraxinus GbR wiederholt, um die lufthygienische Entwicklung in der Stadt zu dokumentieren. Eine weitere Zielsetzung war, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Flechtenvegetation in Aschaffenburg zu analysieren.

Aktuelle Ergebnisse

Das zentrale Ergebnis der Flechtenkartierung ist die Luftgütekarte (Abb. 01 und Luftgütekarte auf Seite 37). Sie stellt die klimatisch-lufthygienische Situation des Untersuchungsgebietes anhand der ermittelten Luftgüteindizes dar. Im Stadtgebiet ist die Spanne von geringer Luftgüte (orange) bis hin zu sehr hoher Luftgüte (blau) vertreten. Sehr geringe Luftgüte (rot) wurde nicht festgestellt. Geringe (orange) und mittlere Luftgüte (gelb) kommen vor allem in der Innenstadt und den Stadtteilen Nilkheim, Strietwald und Damm, sowie dem Westteil von Obernau vor. Die Stadtteile Schweinheim, der Ostteil von Obernau sowie der Ostteil der Kernstadt weisen eine hohe Luftgüte (grün) auf. Noch günstiger stellt sich die lufthygienische Situation in den etwas höher gelegenen unbebauten Gebieten nördlich und südlich sowie auch östlich Aschaffenburgs dar (blau). Im bebauten Stadtgebiet wirken sich eine hohe Dichte an Emittenten, insbesondere der Verkehr, ungünstig auf die Luftqualität aus. Die Tallagen sind zudem durch Inversionswetterlagen belastet und für lokale Windsysteme nur eingeschränkt zugänglich.

Entwicklung der Luftgüte seit 1997

Die Luftqualität hatte sich bei den vergangenen Untersuchungen im Vergleich zur Vorgängerkartierung jeweils deutlich verbessert. Während 1997 noch überwiegend hohe und sehr hohe lufthygienische Belastungen vorherrschten, war das Bild 2002 durch mäßige bis geringe Belastungen geprägt. Es konnte eine deutliche Abnahme der Wirkung saurer Schadgase und eine Zunahme der Wirkung von düngenden Immissionen festgestellt werden. Von 2002 bis 2009 hatte sich die lufthygienische Situation insgesamt noch weiter verbessert. Allerdings war die Verbesserung bei weitem nicht so stark wie in den Jahren zuvor. Während die Luftgüteindizes von 1997 bis 2002 im Innenstadtbereich am deutlichsten angestiegen sind, profitierten von 2002 bis 2009 vor allem die Messflächen am Rand der Bebauung von der gestiegenen Luftgüte. Bis 2015 konnten im Vergleich zu 2009 durch die Flechten keine markanten Veränderungen der Luftqualität im Stadtgebiet mehr festgestellt werden (Abb. 01). Allerdings konnte an 13 der 44 kartierten Messflächen eine Zunahme der Wirkung düngender Immissionen anhand eines Eutrophierungsindexes nach VDI festgestellt werden. Diese Entwicklung und die Veränderung des Artenspektrums belegen, dass die Wirkung saurer Schadgase, insbesondere Schwefeldioxid heute keine bedeutende Rolle mehr spielt. Dagegen zeigten düngende Immissionen wie durch Stickstoffoxide, Ammoniak und Stäube zwischen 2002 und 2015 eine deutlich zunehmende Wirkung.
Die Artenzahlen hatten sich bei den bisherigen Kartierungen von 23 in 1991, über 29 in 1997, 45 in 2002 bis auf 92 Arten in 2009 erhöht. Analog zum Luftgüteindex stagniert auch die Flechtenartenzahl 2015 mit 87 Arten. Allerdings setzt sich beim Flechtenartenspektrum die Verschiebung zugunsten düngungstoleranter Arten fort.

Abb.: Veränderung des Luftgüteindex von 2009 bis 2015     

Auswertung nach Klimawandelzeigern

Im Jahr 2015 erfolgte erstmals eine Auswertung der Flechtendaten nach einer neuen Methode des Klimawandel-Biomonitorings des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI 3957 Blatt 20 2016). Durch eine Neukalkulation der vorhandenen Datenreihe wurde festgestellt, dass ausgewiesene Klimawandelzeiger unter den Flechten über einen Zeitraum von 25 Jahren deutlich zugenommen haben. Während 1991 nur eine dieser Arten an einer Messfläche vorkam, sind es mittlerweile
12 Arten. Fast alle Messflächen werden von Klimawandelzeigern besiedelt.


Abb.: Zeitliche Entwicklung des Vorkommens von Klimawandelzeigern in % der kartierten Messflächen


Das bedeutet, dass das Klima seit 1991 in Aschaffenburg milder, ozeanischer und wärmer geworden sein muss. Der Klimawandel in der Region ist durch langjährige Messungen des DWD in Frankfurt belegt.
Die Zunahme von Klimawandelzeigern ist nicht regional begrenzt, sondern lässt sich auch überregional nachweisen. Der Untermain erwies sich im Landesvergleich sowohl in Hessen als auch in Bayern als Region mit der stärksten Zunahme von Klimawandel anzeigenden Flechtenarten.

Eine Studie im Auftrag des Deutschen Wetterdiensts zeigt, dass die Wärmebelastung zukünftig auch dort am höchsten sein wird, wo sie es heute schon ist. Um diese Belastung abzumildern, werden Maßnahmen der Klimaanpassung empfohlen, wie z.B.  Durchgrünen dichtbebauter Bereiche, Erhalten von Frischluftschneisen etc. Dabei mildern Stadtbäume und Grünflächen nicht nur die Überhitzung der Stadt, sondern haben positive Auswirkungen auf die Luftqualität insgesamt durch das Ausfiltern von Schadstoffen.
„Parks und Grünanlagen nehmen unter zukünftigen Klimabedingungen in ihrer Bedeutung stark zu“
(Zitat aus Früh et al.: Frankfurt am Main im Klimawandel – Eine Untersuchung zur städtischen Wärmebelastung. Hrsg. Deutscher Wetterdienst, Offenbach am Main)






Fazit

Nach den Ergebnissen der Flechtenkartierung sollte auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf die Reduktion der Stickstoffeinträge gelegt werden, deren Ursache u.a. der
Kfz-Verkehr ist.

Um der erwarteten regionalen Klimaerwärmung im gesamten Stadtgebiet gegenzusteuern ist eine klimagünstige Gestaltung der Stadt in möglichst vielen Stadtbereichen notwendig. Parks und Grünanlagen, aber auch Fassaden- und Dachbegrünung nehmen unter zukünftigen Klimabedingungen in ihrer Bedeutung stark zu.

Ein nicht unwesentlicher Anteil der Immissionen stammt aus der regionalen Hintergrundbelastung. Der Klimawandel ist ein globales Phänomen. Daher ist ein überregionales Engagement für die Reduktion von Emissionen und den Klimaschutz nötig.

Eine Wiederholung der Flechtenkartierung zur Dokumentation der lufthygienischen Entwicklung und den Wirkungen des Klimawandels empfiehlt sich nach etwa fünf Jahren.

.Beschluss:

I. Der Bericht über die Ergebnisse der Flechtenkartierung 2015/16 (Anlage 2) wird zur Kenntnis genommen.

II. Angaben zu den Kosten:

Durch den Vollzug dieses Beschlusses entstehen Kosten:
ja [   ]
nein [ X ]

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 0, Dagegen: 0

Datenstand vom 09.12.2016 11:19 Uhr