Vorstellung des Handlungsleitfaden für Lehrkräfte bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen


Daten angezeigt aus Sitzung:  3. Sitzung des Jugendhilfeausschusses, 20.10.2022

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.SP-Nr.
Jugendhilfeausschuss 3. Sitzung des Jugendhilfeausschusses 20.10.2022 ö Vorberatend 4JHA/3/4/22

.Begründung / Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sitzungseinladung.

Kinder und Jugendliche verbringen einen hohen Zeitanteil in der Schule. Lehrkräfte sind daher für sie wichtige Bezugspersonen. Oftmals sind sie die ersten, die Anzeichen für eine mögliche Gefährdung feststellen oder denen sich Kinder und Jugendliche anvertrauen. Für solche Situation braucht es klar geregelte Abläufe und eine abgestimmte Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe. 

Die Stadt Aschaffenburg und der Landkreis Aschaffenburg haben daher gemeinsam mit dem staatlichen Schulamt und Vertretern der Lehrerschaft einen Handlungsleitfaden und ein dazu gehöriges Schaubild (Anlage) entwickelt, der als Hilfestellung dienen und zu Handlungssicherheit bei den Beteiligten Institutionen führen soll. 


I. Grundlagen

1. allgemeine gesetzliche Grundlagen

Die §§ 1626 ff. BGB bestimmen die elterliche Sorge und damit das Verhältnis von Kinderrecht, Elternrecht und staatlicher Garantenfunktion. 
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig, vgl. § 1631 Abs. 2 BGB. 

Die Rechtsgrundlage für Lehrkräfte zur Beratung und Informationsvermittlung ergibt sich aus § 4 Abs. 1 Nr. 7 KKG: 

  § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung

(1) Werden 
(…)
7. Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten Schulen

in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.


2. Wächteramt und Verantwortungsgemeinschaft von Jugendhilfe und Schule

Kinder und Jugendliche brauchen ein wachsames Umfeld im Hinblick auf mögliche Kindeswohlgefährdungen. Der Kinderschutz ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die staatlichen Stellen haben eine besondere Rolle, sie agieren im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft. Dem Jugendamt kommt eine herausgehobene Rolle durch das sogenannte „Wächteramt“ zu, vgl. Art 6 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. § 1 Abs. 2 und 3 SGB VIII. 
Um diese Rolle umfassend wahrnehmen zu können, bedarf das Jugendamt der Unterstützung. Auch die Schule ist staatlicher Wächter im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. 

Art. 31 Abs. 1 BayEUG regelt einen ausdrücklichen Schutzauftrag der Schulen: 

Art. 31 Zusammenarbeit mit Jugendämtern und Einrichtungen der Erziehung, Bildung und Betreuung; Mittagsbetreuung 

(1) 1Die Schulen arbeiten in Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Jugendämtern und den Trägern der freien Jugendhilfe sowie anderen Trägern und Einrichtungen der außerschulischen Erziehung und Bildung zusammen. 2Sie sollen das zuständige Jugendamt unterrichten, wenn Tatsachen bekannt werden, die darauf schließen lassen, dass das Wohl einer Schülerin oder eines Schülers ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt ist und deshalb Maßnahmen der Jugendhilfe notwendig sind.


3. Definition Kindeswohlgefährdung 

Gesetzgeberisch sind die Begriffe Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung nicht exakt wörtlich definiert. 

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesgerichtshof von einer Kindeswohlgefährdung dann aus, wenn „eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.“ 

Als Gefährdungsursachen gelten grundsätzlich:
  • Körperliche und seelische Vernachlässigung und / oder Misshandlung
  • Sexualisierte Gewalt und / oder sexueller Missbrauch 
  • Häusliche Gewalt 


II. Ablaufschema zur Übermittlung von Informationen bei gewichtigen Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung - Erläuterungen zum Schaubild

1. Beobachtungen der Lehrkraft  - Dokumentation und Information der Schulleitung

Soweit die Lehrkraft Anhaltspunkte einer möglichen Gefährdung beobachtet oder werden ihr solche berichtet, sollen diese sorgfältig dokumentiert und die Schulleitung darüber informiert werden. Eine schriftliche Dokumentation ist eine wichtige Basis für die weitere Zusammenarbeit mit den verschiedenen Beteiligten und den betroffenen Familien.

Festgehalten werden sollten insbesondere konkrete und wörtliche Äußerungen des Kindes bzw. Jugendlichen sowie genaue Beobachtungen der Lehrkraft, jeweils mit Datum und Uhrzeit, sowie Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise. 

Bei dringender Gefahr (z.B. sichtbaren Verletzungen) ist sofortiges Handeln nötig. Eine Information an den Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamts ist unumgänglich. 

2. Anonyme Beratung – als Hilfestellung für Lehrkräfte

Zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung haben Lehrkräfte einen Anspruch auf anonymisierte Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ der Jugendhilfe. Eine telefonische Beratung ist dabei möglich ohne den Namen des Kindes und der Schule zu nennen. 

3. Erörterung mit den Beteiligten und Einschätzung der Situation

Falls hierdurch nicht die Gefährdung verschärft wird, sollen Lehrkräfte mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten die Situation erörtern und auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken. Das Gespräch mit den Eltern (z.B. als Runder Tisch mit weiteren unterstützenden Beteiligten wie z. B. JaS) ist ein wichtiger Schritt zur Entwicklung von Lösungsansätzen und Vermittlung von Hilfen. 

Der Austausch mit weiteren Lehrkräften und Fachkräften (z.B. JaS, Mittagsbetreuung, Schulpsychologischer Dienst) kann helfen die Situation angemessen einzuschätzen. Die Schulleitung ist kontinuierlich zu informieren. 

4. Keine Gefährdung, aber Beratungs- bzw. Hilfebedarf

Die Lehrkraft vermittelt die Familie bei Bedarf an weitere Stellen der öffentlichen und freien Jugendhilfe oder schulinterne Dienste. 

Kinder, Jugendliche und deren Eltern haben einen Beratungsanspruch gem. § 10 a SGB VIII.  Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche einen Anspruch auf Beratung auch ohne Kenntnis der Erziehungsberechtigten solange durch die Mitteilung an diese der Beratungszweck vereitelt werden würde, § 8 Abs. 3 SGB VIII. 

5. Feststellung einer Kindeswohlgefährdung; Meldung an den ASD

Falls die Lehrkraft die Gefährdungssituation nicht selbst abwenden kann und ein Tätigwerden des Jugendamts für erforderlich hält, ist sie befugt, den Allgemeinen Sozialen Dienst zu informieren und die entsprechenden Daten weiterzugeben. Im Gefährdungsfall ist dies auch ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten möglich. 

Außerhalb der Dienstzeiten oder im Notfall informiert die Lehrkraft die Polizei. 

Die Lehrkraft informiert darüber hinaus die Schulleitung und die Personensorgeberechtigten, soweit nicht die Einschaltung dieser den Schutz des betroffenen Kindes oder Jugendlichen in Frage stellt. 

Der ASD informiert die meldende Lehrkraft/Schulleitung zeitnah, ob sich die gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung bestätigt haben und ob er tätig geworden ist bzw. noch tätig ist. 

Der Handlungsleitfaden wurde den Schulen in der Stadt Aschaffenburg in einer Präsentation am 04.10.2022 vorgestellt.  

.Beschluss:

I. Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht über den Handlungsleitfaden für Lehrkräfte zum Vorgehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen zur Kenntnis (Anlage 2)

II. Angaben zur Klimawirkung:
Bewertung - jeweils Mehrung oder Minderung der Treibhausgase (THG)
wenig klimarelevant
teilweise klimarelevant
sehr klimarelevant
[ x ]  keine weiteren Angaben erforderlich
[  ]  kurze Erläuterung in den Begründungen
[  ]  ausführliche Erläuterung 
in den Begründungen 
Bewertungsschema nach KÖP (Klimaschutzmanagement in öffentlich Projekten)
(Nationale Klimaschutz-Initiative  -  Klimabündnis / ifeu-Heidelberg / BMU)

III. Angaben zu den Kosten:
Durch den Vollzug dieses Beschlusses entstehen Kosten:
ja [  ]
nein [ x ]

Abstimmungsergebnis:
Dafür: 0, Dagegen: 0

Datenstand vom 10.02.2023 09:03 Uhr