1. Ausgangssituation:
Aufgrund des demografischen Wandels, einer Wohnungsknappheit insbesondere im Niedrigpreissektor und bei größeren Wohnungen (<80m²) sowie einem wachsenden Wohnraumbedarf, der sich auch durch die Flüchtlingssituation zusätzlich erhöht hat, steht die Stadt Aschaffenburg vor der Herausforderung neuen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und den Bestand an heutige Bedürfnisse anzupassen.
Neben dem Neubau in bestehenden Siedlungsgebieten und Neuausweisungen von Baugebieten gilt es jedoch auch in diesem Bereich nachhaltig zu planen und die Zielsetzung, die auch im Flächennutzungsplan 2030 definiert wird, Innen- vor Außenentwicklung zu betreiben, weiterzuverfolgen.
Daher ist es ebenso wichtig, den Gebäudebestand näher zu analysieren und zur Verfügung stehende Potenziale, wie vorhandene leerstehende Wohnungen festzustellen und Handlungsspielräume auszuloten, wie diese dem Wohnungsmarkt wieder zugänglich gemacht werden können.
Im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans wurde im Jahr 2011 eine Wohnbedarfs- und Wohnbauflächenprognose erstellt. Im Zuge dieser Untersuchung wurde auch der Wohnungsleerstand erhoben. Darin zeigte sich vor allem im Innenstadtbereich ein überdurchschnittlicher Wohnungsleerstand von 6,1% (gesamtstädtische Leerstandsquote 4,2%).
Diese grundsätzliche Erhebung lieferte jedoch zunächst nur ein allgemeiner Wert ohne Hintergründe und räumliche Gegebenheiten näher zu erfassen, aus denen Rückschlüsse und mögliche Ursachen des Leerstandes gezogen werden können.
Auch im Strategiepapier Wohnen in Aschaffenburg 2030, welches am 04. November 2014 vom Planungs- und Verkehrssenat beschlossen wurde, wird ein besonderes Augenmerk auf den Wohnungsleerstand gelegt.
Aus diesem Grund wurde die Verwaltung im Rahmen der Umsetzung des Strategiepapiers damit beauftragt, eine differenzierte Analyse der Leerstandsituation für den Aschaffenburger Wohnungsmarkt durchzuführen, um den aktuellen Leerstand, seine Ursachen sowie Aktivierungsmöglichkeiten zu ermitteln.
2. Aufgabenstellung:
Vor diesem Hintergrund wurde das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Beratungsunternehmen empirica von der Verwaltung beauftragt, eine Leerstandsanalyse durchzuführen, bei der die Erhebung von 2011 fortgeschrieben und mit zusätzlichen Informationen zum Leerstand wie Gebäudeart, Baualter und Umgebung ergänzt werden sollte.
Die Erhebung fand durch eine Vor-Ort-Begehung im Juni 2015 statt. Dabei wurden die Wohngebäude nach bestimmten Leerstandsmerkmalen (z.B. fehlendes Klingel-/Briefkastenschild o.ä) in Augenschein genommen und die Leerstände erfasst.
Im Juni 2015 wertete das Stadtplanungsamt zusätzlich Stromzählerdaten der AVG aus. Anhand von abgemeldeten Zählern und Minderverbrauchsdaten konnten auch über diese Methode Wohnungsleerstände erhoben werden. Diese Erhebung wurde zur Plausibilisierung der Vor-Ort-Begehung herangezogen sowie die Zensusdaten von 2011 und CBRE empirica Leerstandsindex (siehe Gutachten).
Die Stromzählerdaten gaben zusätzlich Auskunft über die Dauer eines Leerstandes, was über eine Begehung nicht erhoben werden kann.
Anhand dieser aktuellen Analyse über den Wohnungsleerstand in Aschaffenburg können nun Leerstandsgründe ermittelt und Aktivierungsmöglichkeiten erörtert werden.
3. Ergebnis des Gutachtens:
Die Erhebung von empirica kommt zu dem Ergebnis, dass in Aschaffenburg 1.133 Wohnungen leer stehen (Stand: Juni 2015). Damit ergibt sich bezogen auf den Wohnungsbestand von 35.529 Wohnungen (nach Zensusdaten 2011) eine aktuelle Leerstandsquote von 3,2%.
Bei der Betrachtung der Leerstandsquote ist zu berücksichtigen, dass für einen funktionierenden Wohnungsmarkt ein Fluktuationsleerstand von 2-3% erforderlich ist. Abzüglich dessen liegt die Quote bei max 1,2% in Aschaffenburg. Dies entspricht ca. 430 Wohnungen, die in Aschaffenburg über den erforderlichen Fluktuationsleerstand hinaus leer stehen.
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich der überwiegende Teil der Wohnungsleerstände (817 WE) in Wohngebäuden befindet. Die übrigen leerstehenden Wohnungen (316WE) befinden sich in Wohn- und Geschäftsgebäuden, diese liegen überwiegend in der Innenstadt.
Der größte Teil der Leerstände befindet sich in Mehrfamilienhäusern mit 3 und mehr Wohnungen (934 WE). In Einfamilienhäusern (86 WE) und Zweifamilienhäusern (113 WE) sind Leerstände nur in geringem Maße vorzufinden. Damit sind Mehrfamilienhäuser mit einer Quote von 3,8% überdurchschnittlich vom Leerstand betroffen.
Die meisten leerstehenden Wohnungen befinden sich in Nachkriegsgebäuden, die zwischen 1945 und 1990 errichtet wurden (662 WE). Der größte Anteil davon liegt in der Innenstadt. In der Innenstadt steht zudem auch ein nennenswerter Anteil von Wohnungen in Gebäuden jüngerer Zeit leer (Baualter ab 1990).
Die Leerstände liegen schwerpunktmäßig in der Innenstadt, in Damm und in Schweinheim. Die Stadtteile mit den geringsten Wohnungsleerständen sind Gailbach und Strietwald.
In Schweinheim befinden sich die Leerstände in einem höheren Maße als in anderen Stadtteilen in Gebäuden mit einem geringen Modernisierungszustand.
Weiter wurde das soziale Umfeld und die Verkehrsbelastung bei den leerstehenden Wohnungen nach subjektiven Einschätzungen der Erheber betrachtet:
In Schweinheim liegen die Leerstände in erhöhtem Maße in Bereichen mit einem guten Sozialen Umfeld (61%). In Obernau (16%) und in der Innenstadt (16%) sind diese eher unterproportional vertreten. Ein „einfaches soziales Umfeld“ (unterste Kategorie) findet sich in allen Stadtteilen nur in sehr geringem Maße wieder (max. 10% in Österreicher Kolonie).
Der Gutachter stellt fest, dass sich im Vergleich mit der Leerstandssituation in der Gesamtstadt die Leerstände in der Innenstadt in höherem Maße in verkehrsbelasteten Lagen befinden. Dies dürfte jedoch auch daran liegen, dass in der Innenstadt generell Wohngebäude häufiger an stärker befahrenen Straßen liegen als in anderen Stadtteilen. Insgesamt liegen 78% der Wohnungsleerstände der Gesamtstadt in gering und durchschnittlich verkehrsbelasteten Straßen.
In seinem Fazit beschreibt der Gutachter den Aschaffenburger Wohnungsmarkt wie folgt:
„In der Zusammenschau aus Rahmenbedingungen und Wohnungsmarktrends in Aschaffenburg lässt sich der Aschaffenburger Wohnungsmarkt trotzt der jüngsten Nachfragezuwächse als nur leicht angespannt bewerten und steht damit in deutlichem Unterschied zu den Großstädten im Rhein-Main-Gebiet. Allem Anschein nach schwappen die starken Nachfrageüberhänge im Frankfurter Raum trotz des dortigen enormen Drucks nicht auf Aschaffenburg über. Die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung geführten Expertengespräche mit Akteuren des Aschaffenburger Wohnungsmarktes (Verwaltung, Bauträger, Projektentwickler, Makler) belegen diese Einschätzung. Dennoch werden auch von Teilen dieser Akteure die bestehenden und sich verschärfenden Angebotsengpässe im Niedrigpreissegment in Aschaffenburg betont, wonach es für einen Einkommensschwachen Haushalt in Aschaffenburg heute schwieriger ist preiswerten Wohnraum zu finden als noch vor wenigen Jahren. Insbesondere angesichts der Flüchtlingsthematik gehen die befragten Akteure davon aus, dass sich diese Situation in kurzer und wahrscheinlich auch in mittlerer Frist kaum entschärfen wird.“
(weitere detaillierte Ausführungen siehe Gutachterbericht.)
4. Vergleichserhebungen:
Wohnbedarfsprognose 2011
Die im Rahmen der Wohnbedarfsprognose von 2011 durchgeführte Begehung ergab eine Leerstandsquote von 4,3% gemessen an dem Wohnungsbestand von 35.616 Wohnungen laut damaliger amtlicher Statistik (Stand 31.12.2010). Im direkten Vergleich käme dies einer Reduzierung der Leerstandsquote zwischen 2010 und 2015 um 11 Prozentpunkte gleich. Auch damals wurde der Leerstand vor allem in den Stadtteilen Innenstadt, Damm und Schweinheim verortet.
Zensus 2011
Nach der Zensuserhebung standen im Jahr 2011 insgesamt 1.438 Wohnungen in Aschaffenburg leer. Dies ergab gemessen am gesamten beim Zensus 2011 erhobenen Wohnungsbestand (35.529 WE) eine Leerstandsquote von 4,0%.
Der meiste Wohnungsleerstand war in Mehrfamilienhäusern zu finden. Aber auch Zweifamilienhäuser waren überdurchschnittlich von Leerstand betroffen.
Der Zensus 2011 gibt weiterhin Aufschluss über das Gebäudealter bei leer stehenden Wohnungen. Dabei ist zu erkennen, dass die Leerstandsquote im hohen Maße mit dem Baualter korrespondiert. Je älter ein Gebäude ist, desto höher ist die Leerstandsrate.
Außerdem wird aus den Zensusdaten ersichtlich, dass mehr als die Hälfte der 2011 leerstehenden Wohnungen Wohnflächen zwischen 40 und 79m² hatten. D.h. je kleiner eine Wohnung, desto höher war diese von Leerstand betroffen.
Stromzählermethode
Die Stromzählermethode kommt mit insgesamt 1.293 Wohnungsleerständen auf ein ähnliches Ergebnis wie die Vor-Ort-Begehung des Gutachters, was das Gesamtergebnis bestätigt. Die Leerstandsquote liegt hier bei 3,6%.
Auch bei der Stromzähleranalyse sind die meisten Leerstände in den Stadtteilen Innenstadt, Damm und Schweinheim zu finden.
Eine wichtige Zusatzinformation bei der Stromzähleranalyse ist die Dauer des Leerstandes, welche bei der Vor-Ort-Erhebung nicht ersichtlich ist.
Die Auswertung zeigt, dass gut die Hälfte der Leerstände bereits über ein Jahr bestehen.
Es wird daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Wohnungen, die über ein Jahr leer stehen, dem Wohnungsmarkt nicht mehr zugänglich sind, d.h. nicht mehr angeboten werden oder aufgrund des schlechten baulichen Zustandes für Mieter nicht mehr interessant sind.
Demzufolge dienen abzüglich der Dauerleerstände nur rund 660 Wohnungen (1,7%) weiterhin der Wohnungsfluktuation (davon 419 WE <6 Monate leer; 1,2%). Auch dies bestätigt die leicht angespannte Situation auf dem Aschaffenburger Wohnungsmarkt.
CBRE empirica Leerstandsindex 2013
Im CBRE empirica Leerstandsindex wird der marktaktive Leerstand dargestellt, jeweils unabhängig von der Dauer des Leerstandes. Der marktaktive Leerstand wird nur ausgewiesen für Geschosswohnungen und umfasst leer stehende Wohnungen, die unmittelbar disponibel sind, sowie leer stehende Wohnungen, die aufgrund von Mängeln derzeit nicht zur Vermietung anstehen, aber gegebenenfalls mittelfristig aktivierbar wären (<6 Monate).
(weitere detaillierte Ausführungen siehe Gutachterbericht.)
Die aktuellsten Leerstandsauswertungen von 2013 für die Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland zeigen, dass Aschaffenburg mit einer marktaktiven Leerstandquote von 1,8% in 2013 im bundesweiten Vergleich gut positioniert ist.
Nach dem CBRE-empirica-Leerstandsindex ist der marktaktive Leerstand in Aschaffenburg seit einigen Jahren rückläufig.
5. Bewertung der Ergebnisse im städtischen Bezug:
Die These, dass schlechte städtebauliche Lagen oder eine schlechte Anbindung an verkehrliche oder soziale Infrastruktur Leerstand begünstigen, lässt sich auf den ersten Blick nicht bestätigen, da überwiegend Leerstände in den zentralen Stadtteilen Innenstadt und Damm zu verzeichnen sind. Die Leerstände verteilen sich relativ gleichmäßig im Stadtgebiet und häufen sich nicht in bestimmten Quartieren oder Lagen. Städtebauliche Brennpunkte sind nicht zu erkennen.
Die genauen Gründe, warum eine Wohnung leer steht, lassen sich auch durch die getätigten Analysen nur bedingt verifizieren, da hierfür exakte Angaben zu Wohnungsgrundrissen, Wohnungsgrößen, Modernisierungszustand, Mietpreisen o.ä. der einzelnen Wohnungen fehlen. Aus den Zensusdaten von 2011 lässt sich jedoch ein gewisser Zusammenhang zwischen Leerstand und Baualter der Gebäude sowie Leerstand und Wohnungsgröße erkennen.
Insgesamt wird durch das Gutachten deutlich, dass es in Aschaffenburg keinen signifikant hohen Wohnungsleerstand gibt, sondern vielmehr der vorhandene Leerstand für einen gut fluktuierenden Wohnungsmarkt notwendig ist. Die niedrige Leerstandsquote ist ein Aspekt, dass der Wohnungsmarkt in Teilsegmenten als angespannt wahrgenommen wird, jedoch nicht alleinige Ursache.
Die Stadtverwaltung ist dennoch der Auffassung, dass es im Zusammenhang mit der leicht angespannten Wohnungsmarktsituation in Aschaffenburg notwendig ist, Handlungsmöglichkeiten für die Dauerwohnungsleerstände zu eruieren, die bereits über ein Jahr leer stehen und somit dem Markt entzogen sind.
6. Handlungsmöglichkeiten:
Da sich der Großteil der Wohnungen in privatem Eigentum befindet und nicht der Stadtbau oder anderen Wohnungsbauunternehmen oder -genossenschaften angehören, sind die Handlungs- und Aktivierungsmöglichkeiten der städtischen Verwaltung nur sehr eingeschränkt.
Zunächst ist es wichtig, Eigentümern und Vermietern auf den Leerstand aufmerksam zu machen und in einer Öffentlichkeitskampagne dazu zu motivieren, den Leerstand wieder an den Markt zu bringen.
Ängste und Befürchtungen vor z.B. Mietnormaden, die ein Hinderungsgrund zur Vermietung darstellen könnte, sollten aus dem Weg geräumt werden. Durch fachliche und rechtliche Beratung sollen Eigentümer bei der Vermietung unterstützt werden.
Hier sind umfassende Informationen und Öffentlichkeitsarbeit auch in Kooperation mit der Wohnungswirtschaft durchzuführen.
Außerdem könnte die Stadt z.B. durch Förderprogramme Eigentümer dazu motivieren, ihre Wohnungen zu modernisieren und sie dadurch wieder für den Wohnungsmarkt attraktiv zu machen. Aus anderen Städten wie Düsseldorf sind ähnliche Projekte bekannt, bei denen Eigentümer einen Zuschuss erhalten und die Stadt dadurch eine Belegungsdingung für einkommensschwache Haushalte erwirbt. Derartige Möglichkeiten sind noch zu prüfen, in wieweit sie auf die Stadt Aschaffenburg übertragbar wären.
7. Vorschlag der Verwaltung:
Die Verwaltung führt eine Informations- und Öffentlichkeitskampagne durch, um Hauseigentümer dazu zu motivieren und zu beraten, Leerstände aufzulösen und in die eigene Immobilie zu investieren. Bei der Kampagne soll die Wohnungswirtschaft einbezogen werden.