- Problemstellung
Als zentraler Veranstaltungsort für Großveranstaltungen in Aschaffenburg gilt seit Jahrzehnten der Volksfestplatz. Neben dem Volksfest finden auf diesem Platz das Afrika-Karibik-Festival und in früheren Jahren immer wieder Konzertgroßveranstaltungen, sowie kleinere Veranstaltungen statt.
Alle Großveranstaltungen sind nach Art. 19 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) zu genehmigen. Im Rahmen der Genehmigung hat auch eine immissionsschutzrechtliche Beurteilung im Hinblick auf Lärmauswirkungen auf die Nachbarschaft zu erfolgen. Dabei ist es regelmäßig so, dass bei derartigen Großveranstaltungen die höchstzulässigen Immissionsrichtwerte in der Nachbarschaft in der Nachtzeit (= Ruhezeit: 22.00 Uhr – 06.00 Uhr) überschritten werden. Maßgeblich für die Beurteilung der Überschreitung ist die nächstgelegene schützenswerte Bebauung. Im Fall des Volksfestplatzes ist das die Wohnbebauung an der Suicardusstraße/Webergasse. Sind die Immissionsrichtwerte trotz Schutzmaßnahmen nicht einzuhalten, ist die Veranstaltung grundsätzlich als unzulässig einzustufen.
Es ist jedoch anerkannt, dass bei Veranstaltungen im Freien oder in Zelten die Immissionsrichtwerte trotz aller verhältnismäßigen technischen und organisatorischen Lärmminderungsmaßnahmen nicht eingehalten werden können. Nach der sogenannten „Freizeitlärmrichtlinie“ (Stand 06.03.2015) der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI), dort Ziffer 4.4.1, wurde festgelegt, dass in diesen Fällen Veranstaltungen gleichwohl zulässig sein können, wenn sie
- eine hohe Standortgebundenheit oder soziale Adäquanz und Akzeptanz aufweisen und zudem
- zahlenmäßig eng begrenzt durchgeführt werden.
Aufgrund der zahlenmäßigen Begrenztheit spricht man von sogenannten „seltenen Veranstaltungen“. Sie sollen 18 Tage/Kalenderjahr nicht überschreiten (Ziffer 4.4.2 Freizeitlärmrichtlinie).
Bei der Berechnung der relevanten Tage kommt es nicht auf den Ort an, wo der Lärm entsteht, sondern wo er sich auswirkt, hier also die Suicardusstraße/Webergasse. Dies führt dazu, dass bei der Lärmbetrachtung des Volksfestplatzes nicht nur die Veranstaltungen auf dem Volksfestplatz selbst sondern auch die Veranstaltungen am Mainufer unterhalb der Suicardusstraße bzw. der Wappenmauer mit einzubeziehen sind.
Von den zur Verfügung stehenden 18 Tagen, werden regelmäßig 11 Tage für das Volksfest, 2 Tage für das Stadtfest, und 4 Tage für das Afrika-Karibik-Festival „reserviert“. Hinzu kam in den letzten Jahren ein weiterer Veranstaltungstag am Tag vor Stadtfestbeginn auf der Funkhausbühne. Damit waren alle Tage ausgeschöpft.
2017 hat sich die Situation insofern verschärft, als das Volksfest bedingt durch die kalendarische Situation am Fronleichnamstag und damit bereits einen Tag früher beginnt. Unabhängig hiervon stellt sich die Problematik in jedem Jahr, dass für ein unerwartetes Großkonzert schon zu Jahresanfang in der Regel keinerlei „Lärmkapazitäten“ mehr zur Verfügung stehen.
Nachdem aus den Reihen des Stadtrates die zuletzt genannte Problematik schon mehrfach moniert worden ist und auch die Veranstalter möglichst frühzeitig Planungssicherheit für Ihre Veranstaltungen haben wollen, schlägt die Verwaltung vor, sich auf die als Beschlusstext vorgesehenen Leitlinien zu verständigen.
Ziel dieser Leitlinien ist es auch, den Wunsch der Anlieger Rechnung zu tragen, die mit einer Unterschriftenliste (32 Unterzeichner) im April letzten Jahres die Stadt aufgefordert haben, angesichts der Vielzahl von Veranstaltungen auf dem Volksfestplatz und am Mainufer für mehr Ruhe zu sorgen.
- Leitlinien
- Anzahl der seltenen Veranstaltungen
Nach der Freizeitlärmrichtlinie „soll“ die Anzahl der Tage mit seltenen Veranstaltungen 18 Tage im Kalenderjahr nicht überschreiten. „Soll“ im Rechtssinne heißt „muss“. Nur bei absolut atypischen Konstellationen kann davon abgewichen werden. Im Hinblick darauf, dass schon die „seltenen Veranstaltungen“ atypische Ausnahmen vom Regelfall darstellen, ist kaum denkbar, wie sich noch atypischere Konstellationen begründen lassen sollen. Aufgrund daraus resultierender Rechtsunsicherheiten, sollte die bisherige Handhabung mit maximal 18 Tagen/Kalenderjahr beibehalten werden.
- Zumutbarkeit des Verzichts auf Richtwertüberschreitungen
Nach der Freizeitlärmrichtlinie hat die Stadt die Unvermeidbarkeit und Zumutbarkeit der zu erwartenden Immissionen zu prüfen. Die Inanspruchnahme des Kontingentes der „seltenen Veranstaltungen“ wird nur dann gewährt, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte davon ausgegangen werden kann, dass ohne Inanspruchnahme dieses Kontingentes die geplante Veranstaltung nicht oder nicht ohne wesentliche Veränderungen durchgeführt werden kann. Es muss berücksichtigt werden, dass in den vergangenen Jahren das Kontingent voll ausgeschöpft wurde, weiteren Veranstalter daher keine Möglichkeit mehr auf eine seltene Veranstaltung hatten. Ein „Reservieren auf Vorrat“ der Tage für seltene Veranstaltungen ist nicht möglich. Soweit an einzelnen Tagen mehrtägiger Veranstaltungen z. B. wegen früherem Veranstaltungsende die normalen Richtwerte ausreichen, soll kein Tag aus dem Kontingent gewährt werden.
- Zuteilungsreihenfolge
Vorrangig werden die Tage für städtische Veranstaltungen wie das Volksfest und das Stadtfest als Veranstaltungen mit besonderem örtlichem und regionalem Bezug im Sinne der Freizeitlärmrichtlinie reserviert. Dies gilt auch, wenn die Veranstaltungen in einzelnen Jahren aufgrund von kalendarischen oder sonstigen Besonderheiten verlängert werden. Die Einhaltung der Immissionsrichtwerte ist für das Volksfest nicht möglich. Unter Berücksichtigung der Vielzahl der Lärmquellen durch Fahrgeschäfte, Ständen, Besucher und Festzelt werden die normalen Richtwerte überschritten. Es sind daher alle Tage für seltene Ereignisse zu berücksichtigen. Gleiches gilt für das Stadtfest mit seinen Bühnen, die teilweise direkt vor Wohnungen sind. Die Veranstaltungen Volksfest und Stadtfest sind standortgebunden und erfreuen sich in besonderem Maße einer hohen Akzeptanz bei der Bevölkerung. Im Hinblick auf die Größe und Bedeutung der Veranstaltungen ist es daher angemessen und vertretbar diese als Sonderfälle nach Nummer 4.4 Freizeitlärmrichtlinie zu behandeln.
An zweiter Rangstelle sind Veranstaltungen mit besonderer überregionaler oder örtlicher und regionaler Bedeutung zu berücksichtigen. Bei derartigen Veranstaltungen ist davon auszugehen, dass hier eine soziale Adäquanz und Akzeptanz im Sinne der Freizeitlärmrichtlinie vorliegt bzw. vorliegen würde. Von sozialer Adäquanz und Akzeptanz ist auszugehen, wenn die Veranstaltung eine soziale Funktion und Bedeutung hat. Mit dem Begriff der „Sozialadäquanz“ werden die Verhaltensweisen oder Zustände beschrieben, die sich im sozialen Zusammenleben ergeben und sich möglicherweise für den Einzelnen sogar nachteilig auswirken, jedoch von der Bevölkerung insgesamt hingenommen werden, weil sich die Verhaltensweisen noch in den Grenzen des sozial Üblichen und damit Tolerierbaren halten (Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG Art. 19 Rn. 114). In diese Kategorie gehören das Afrika-Karibik-Festival oder früher Konzerte mit internationalen Künstlern wie das von Elton John, aber auch Konzerte bei bekannte Aschaffenburger Künstler auftreten.
Tage für Veranstaltungen an zweiter Rangstelle sollen nicht vor dem 1.11 eines Jahres für das Folgejahr vergeben werden. Damit soll dem Wunsch Rechnung getragen werden, dass man für ein außerordentlich attraktives Konzert noch etwas Manövriermasse hat. Ein Verfahren der Vergabe nach Antragstellung mit der Konsequenz, das keine Tage mehr für attraktivere Veranstaltungen zur Verfügung stehen, wird vermieden. Spätere Vergabefristen machen aus Sicht der Verwaltung keinen Sinn, weil zum einen die Veranstalter Planungssicherheit brauchen und zum anderen Konzertgroßveranstalter wohl längere Vorlaufzeiten haben.
IV. Lärmschutzauflagen
Mit Schreiben vom 15.05.2015 hat das Bayerische Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie in Einvernehmen mit dem Staatsministeriums des Inneren, für Bau und Verkehr und in Abstimmung mit dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, empfohlen die Freizeitlärmrichtlinie bei der Bestimmung der Erheblichkeits- bzw. Zumutbarkeitsschwelle heranzuziehen. Auch sollen die Hinweise zu Nebenbestimmungen der Freizeitlärmrichtlinie berücksichtigt werden.
Die Anwendung der Lärmschutzrichtlinie wird gerichtlich anerkannt. Veranstalter und Anwohner können sich auf die seltenen Veranstaltungen einstellen.